Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
Tagesmüdigkeitchronische Müdigkeit - Chronic-Fatigue-Syndrom - abnorme Tagesschläfrigkeit - extreme Müdigkeit - rasche Erschöpfbarkeit - rasche Ermüdbarkeit - u.a.
Es ist ein Unterschied, ob man sich von einer "gesunden Müdigkeit" wieder angemessen erholen kann oder durch eine "krankhafte Müdigkeit" langfristig und ohne Aussicht auf Regeneration ausgehöhlt zu werden droht. Denn eine solche "Regenerations-Unfähigkeit" hat nicht nur körperliche, sondern auch seelische, geistige und vor allem psychosoziale Konsequenzen im Alltag von Partnerschaft, Familie, Beruf, ja Nachbarschaft, Freundeskreis u.a. Und diese abnorme Tagesmüdigkeit (bei dazu noch mangelhafter nächtlicher Schlafqualität) nimmt offenbar zu. Schlagworte sind chronische Müdigkeit, abnorme Tagesschläfrigkeit, rasche Erschöpfbarkeit u.a. Und neuerdings auch weitere, schwer fassbare Beeinträchtigungen wie die Fibromyalgie, die umweltbezogene Krankheitsanfälligkeit, der Reizdarm usw. mit ihren eigenen zermürbenden Symptomen, wobei man immer öfter die wissenschaftliche Schlussfolgerung hört: Im Grunde gehört eigentlich alles zusammen. Was also kann zur chronischen Müdigkeit führen? Nachfolgend eine etwas ausführlichere Darstellung:
Dazu gehören natürlich auch der unkritische Konsum von Alkohol, Zigaretten und sonstigen Genussmitteln, von Rauschdrogen ganz zu schweigen. Und der ganz offenkundige und auch noch zunehmende Bewegungsmangel der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung. Menschen mit einem solchen - mittel- bis langfristig im Grunde selbstzerstörerischen, krankheits-fördernden und damit letztlich die eigentlich statistisch zustehende Lebenserwartung verkürzenden - Lebensstil fühlen sich dann oft schon in den "besten Jahren" chronisch müde, rasch erschöpft, ausgelaugt, seelisch-körperlich überfordert, energie- und lustlos u.a. Und wenn dann noch die Reihefolge "erschöpft verbittert ausgebrannt" droht, dann haben wir es mit dem nächsten Problem zu tun, nämlich dem
Neben diesen mehr oder weniger steuerbaren Beeinträchtigungen im Bereich von Gesundheit, Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft, Bekanntenkreis, Arbeitsplatz, Freizeit u.a. gibt es die chronische Müdigkeit als Folge körperlicher und seelischer Erkrankungen. Im Einzelnen: Chronische Müdigkeit durch körperliche Erkrankungen Chronische Müdigkeit durch körperlicher Erkrankungen kann insbesondere durch internistische und neurologische Leiden ausgelöst werden. Daneben gibt es allerdings noch andere medizinische Disziplinen bzw. ihre Krankheitsbilder, bei denen ebenfalls eine chronische Müdigkeit drohen kann, z. B. orthopädische (chronische Schmerzbilder durch Wirbelsäulen- und Gelenkleiden), HNO-ärztliche (chronischer Tinnitus), augenärztliche (schwere Sehstörungen, wenn nicht gar Blindheit), ja sogar hautärztliche (chronische Hautleiden, die beispielsweise durch nicht abstellbaren Juckreiz zermürben) u.a. Doch an erster Stelle der organischen Ursachen stehen die erwähnten internistischen und neurologischen Leiden. Im Einzelnen:
Maligne Tumoren, hämatologische (Blut-)Grunderkrankungen, Elektrolyt- und Wasserhaushaltsstörungen, Autoimmunerkrankungen, lokalisierte oder systemische Infektionen, auch tropische Entzündungen (Tourismus!), endokrine Leiden, Vitaminmangelsyndrome oder Mangel an Spurenelementen, schweres Übergewicht, Intoxikationen, Nebenwirkung bestimmter Arzneimittel u.a. Bei den endokrinologischen Erkrankungen sind es beispielsweise Morbus Addison, Hypothyreose, Morbus Cushing, Hypophyseninsuffizienz (Hypopituitarismus) und ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus. Chronische Müdigkeit finden sich aber auch bei verschiedenen Formen von Testosteronmangel bei Männern und bei endokrin bedingter Adipositas (metabolisches Syndrom). Bei den so genannten exogenen (von außen einwirkenden) Ursachen muss man insbesondere an die Möglichkeit von Intoxikationen (Vergiftung) und an die Nebenwirkungen von (vor allem sedierenden, beruhigenden, dämpfenden) Medikamenten denken. Weitere Einzelheiten dazu siehe später.
Weitere neurologische, insbesondere neuromuskuläre Erkrankungen mit Müdigkeitsfolgen sind die Multiple Sklerose, die Myasthenia gravis, die Myopathien u.a.
Dabei muss es sich gar nicht um Missbrauch oder gar Abhängigkeit handeln, es führen auch ärztlich kontrollierte Arzneimittel mit entsprechender Beeinträchtigung zu Tagesmüdigkeit bzw. chronischer Müdigkeit. Das erläutert der Arzt dann auch schon bei der Rezept-Ausstellung und es steht natürlich im Beipackzettel. Chronische Müdigkeit ist übrigens auch durch Psychostimulantien (Weckmittel, Putschmittel, meist Amphetamine) nicht auszuschließen, die doch eigentlich "beleben, frischer und aktiver" machen sollten (in etwas weniger ausgeprägter Form übrigens auch bei den Appetitzüglern mit chemisch ähnlicher Struktur). Die auf den ersten Blick irritierende Ursache (Weckmittel sollen müde machen?) liegt in der Kipp-Reaktion bei längerfristigem Ge- bzw. Missbrauch, was zuletzt zu Müdigkeit, Mattigkeit und Konzentrationsstörungen führen kann, wobei an die ursprüngliche Anregung eine dann aber unangenehme innere Unruhe bis Überdrehtheit erinnert, trotz "ausgelaugter Erschlaffung". Zur Frage der Rauschdrogen- und Medikamenten-Abhängigkeit mit ihren Müdigkeits-Folgen siehe später. Müdigkeit als Symptom seelischer Störungen Müdigkeit, vor allem krankhafte Müdigkeit findet sich auch häufig bei psychischen Erkrankungen. Hier ist dann neben dem Hausarzt und der internistischen Abklärung der Psychiater oder Nervenarzt gefragt. Welches sind nun die häufigsten Müdigkeits-Ursachen aus psychiatrischer Sicht?
Das Gegenstück einer Depression, nämlich die manische Hochstimmung, braucht fast keinen Schlaf (bzw. nutzt einen kurzen, aber überaus erquicklichen Tief- und Traum-Schlaf) und ist aktiv wie noch nie. Dies wird man aber später durch eine Erschöpfung ("Kahlschlag der Reserven"), wenn nicht gar durch eine depressive Phase "bezahlen" müssen. Und hier sind es dann ebenfalls Tagesmüdigkeit, Schwunglosigkeit, Initiativelosigkeit u.a., mit Depression qualvoll, ohne Depression zumindest belastend.
Bemerkenswert ist auf jeden Fall, dass solche oft mittel- bis langfristigen neurotischen Leiden bisweilen als "überdreht" erscheinen, im Grunde aber über eine chronische Müdigkeit, Mattigkeit, Abgeschlagenheit und damit Antriebsschwäche klagen. Umgekehrt kann sich Müdigkeit auch als so genanntes Konversions-Symptom äußern (vom lateinischen: conversio = Wendung, also der unbewusste Versuch, einen verdrängten seelischen Konflikt in ein körperliches Krankheitszeichen umzusetzen; eindrucksvolles Beispiel: hysterische Blindheit ohne organische Ursache). So kann sich beispielsweise bei Konflikten Müdigkeit als Schutz-Symptom einstellen und den Betreffenden davor bewahren, sich zu einem in seinen Augen oder für seine Umgebung unannehmbaren Verhalten hinreißen zu lassen (z. B. Wut- oder Eifersuchtsreaktionen). Dadurch bleibt er müde, matt und abgeschlagen, und zwar ohne organischen Grund, schützt sich aber vor einem gesellschaftlich oder von seinem eigenen Wert-Muster nicht akzeptierten "Fehlverhalten", wenngleich auch um einen hohen Preis. Ähnliches gilt übrigens auch für nicht wenige Ess-Störungen (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa) und weitere psychogene (rein seelisch ausgelöste) Funktionsstörungen. Einzelheiten dazu siehe die speziellen Kapitel. Und für Persönlichkeitsstörungen, bei denen ja nicht nur "unruhige" bis "unzumutbare", wenn nicht gar grenzwertige oder kriminelle, sondern auch ängstliche, vermeidende, asthenische (hilflos-schwache), zwanghafte u.a. Persönlichkeiten vorkommen. Und diese zweite Gruppe ist es dann vor allem, die mit einer chronischen Müdigkeit zu ringen hat, die sie ständig im Alltag "ausbremse".
Wetter, Klima und chronische Müdigkeit? Wetter und Klima gehören neben Gesundheit und aktuellen Fragen aus Sport, Wirtschaft und Politik zu den häufigsten Gesprächsthemen. Dies betrifft vor allem die Wetterfühligen, und das ist in unseren Breiten ein gutes Drittel der Bevölkerung: Frauen mehr als Männer, Ältere mehr als Jüngere (die aber aufzuholen beginnen), seelisch und körperlich Beeinträchtigte mehr als Gesunde. Doch Wetterfühligkeit ist kein Leiden an sich. Meteorologische Faktoren treffen alle gleich. Nur die Reaktion darauf fällt individuell aus (siehe oben). Als die häufigsten und wahrscheinlich auch belastendsten witterungsabhängigen Beschwerden gelten unruhiger Schlaf, Merk- und Konzentrationsstörungen, Arbeitsunlust, Miss-Stimmung, Kopfdruck, vermehrte Fehlerneigung, vegetative sowie Herz- und Kreislaufstörungen (z. B. Schwindel, Flimmern vor den Augen, Herzbeschwerden), degenerative Veränderungen von Wirbelsäule und Gelenken und sogar Störungen der Sinnesorgane (vor allem Sehen und Hören, besonders bei vorbestehender Beeinträchtigung). Außerdem ein Phänomen, das erst einmal als nicht sonderlich "krankhaft" eingestuft wird, nämlich: Müdigkeit, Mattigkeit, rasche Erschöpfbarkeit, zumindest aber mangelnde Frische, Aktivität und Leistungsfähigkeit. Einzelheiten siehe die Fachliteratur (Fachbegriffe: Medizin-Meteorologie, Biometeorologie, Klimatologie bzw. Meteoropathie, Wetterfühligkeit, Wetterempfindlichkeit). Dass vor allem extreme Wetterwechsel nicht ohne Einfluss bleiben, besonders bei seelischen oder körperlichen Schwachpunkten, wo Kaltfront, Warmfront, Fön u.a. besonders nachhaltig angreifen können, wird weitgehend anerkannt. Doch auch das Klima hat seinen Einfluss, und hier insbesondere etwas, was jeder aus seinen Reisen in den Süden kennt: Hitze, vor allem die sommerliche Wärmebelastung in Form von Schwüle, d. h. hoher Temperatur und hohem Wasserdampfgehalt der Luft. Schwüle gehört zu den riskantesten klimatischen und meteorologischen Gefahren, weshalb bei labiler Gesundheit selbst die Urlaubsplanung unter bioklimatischen Gesichtspunkten zu prüfen ist (und von der Ärzteschaft auch durchaus individuell beurteilt wird). Ohne Alternative, aber nicht minder belastend ist sie aber auch im Alltag zu Hause (und dazu noch bei den üblichen Leistungs-Anforderungen), wenn es sich um einen zwar ersehnten, letztlich aber dann doch zu heißen bis schwülen Sommer handelt. Und hier nimmt dann die ohnehin verbreitete Müdigkeit oder Mattigkeit noch zu, nachvollziehbar zwar, bei Menschen mit Mehrfach-Belastung, die auch andere Müdigkeits-Ursachen einschließt, natürlich doppelt. Schlussfolgerung: Schwülebelastung macht müde, matt und abgeschlagen, vor allem in jenen Breiten, in denen die Bevölkerung bisher darauf gesundheitlich nicht eingestellt war (und sich auch nicht nach einem schwülen Sommerurlaub im Süden wieder in ihren wohl-temperierten heimischen Regionen erholen kann). Chronische Müdigkeit im Alter Zuletzt sei auf etwas hingewiesen, das eigentlich keiner Diskussion bedarf: die chronische Müdigkeit oder treffender Mattigkeit im "dritten Lebensalter". Sie beginnt in der Regel schon während der Wechseljahre (wobei es auch ein um einige Jahre verschobenes Climacterium virile gibt, das wird gerne vergessen) und verstärkt sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bis zu einem geradezu alters-typischen Syndrom, das die Geronto-Psychiater früher unter die so genannten allgemein-nervösen Störungen einordneten: ständig müde, matt, rasch erschöpfbar, antriebs-gemindert bis schwunglos. Viele Betroffene (und ihr Umfeld) bezeichnen sich auch als träge, überdrüssig, gleichgültig, "erledigt", "ständig abgespannt". Und wenn das Ganze noch komplizierter werden soll, dann zusätzlich (!) innerlich unruhig, nervös, fahrig, vielleicht sogar gereizt, ängstlich, klagsam. Das alles kann zu einem Syndrom (also zu einem zusammenfassenden Komplex von Krankheitszeichen führen, dann muss man allerdings herausfinden, was die Krankheits-Ursache ist), es kann sich aber auch um einen normalen (Fachausdruck: physiologischen) Zustand handeln, der bereits das Rückbildungsalter etwa zwischen 50 und 70 Jahren, vor allem aber das höhere und insbesondere hohe Lebensalter prägt. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass die Müdigkeit oder chronische Mattigkeit in diesem Zeitabschnitt nicht (nur) als lästig oder gar krankhaft empfunden werden soll, sondern auch als zweckmäßiger "Indikator" (Gradmesser und Anzeiger) der verfügbaren Reserven, die es so wirtschaftlich wie möglich einzusetzen gilt. Wie selbst in den "besten Jahren" ein solches körperliches und damit auch seelisches, geistiges und psychosoziales Kräfte-Depot in kurzer Zeit sinnlos verschlissen werden kann, zeigt beispielsweise die krankhafte Hochstimmung, die Manie, die entweder in einer seelisch-körperlichen Erschöpfung oder gar Depression zu enden pflegt. Kurz: Chronische Müdigkeit oder besser: alterstypische Mattigkeit ist kein beklagenswerter Zustand, sondern ein für Gesundheit und langes Leben unersetzliches Regulativ. Warum aber wird diese Selbstverständlichkeit hier so ausführlich dargelegt? Weil sie zwar bekannt, aber nicht (mehr) akzeptiert ist, und zwar als bedenklicher Teil-Aspekt unserer Zeit und Gesellschaft. Was heißt das? Wir leben in einer Epoche, die "zunehmend an Fahrt gewinnt", sei es innerseelisch, zwischenmenschlich, gesellschaftlich, wirtschaftlich, sei es im Informations- und Freizeitbereich usw. Überall beginnt sich eine spezifische Atmosphäre aufzubauen, von den Medien und insbesondere der Werbe-Psychologie unterstützt bis aufgeheizt, von den Menschen - zu Konsumenten degradiert - manchmal skeptisch, manchmal ironisch, letztlich aber unkritisch übernommen und vor allem sorglos bis selbstzerstörerisch praktiziert. So etwas nennt man dann aktiv, dynamisch, kreativ, innovativ, produktiv, auch wenn es eher unersättlich, ruhelos, getrieben, hektisch und riskant ist. Das hat - wie nicht anders zu erwarten - die Jugend fest im Griff, nagt an der seelischen und körperlichen Gesundheit der nachfolgenden Generationen, insbesondere in den "besten Jahren", lässt die Menschen im Rückbildungsalter an sich zweifeln wenn nicht gar verzweifeln ("schon altes Eisen?") und verunsichert sogar vernünftige Menschen im "dritten Lebensalter", die sich eigentlich auf ruhigere, ausgewogene und vor allem kräfte-schonende Bahnen zubewegen sollten. Da kann es dann nicht ausbleiben, dass die physiologische Mattigkeit in diesem Lebensabschnitt als Defizit oder gar krankhaft missdeutet und vielleicht sogar durch riskante "Korrektur-Versuche" dann tatsächlich folgenschwer wird: Genussmittel, insbesondere Stimulationsversuche, überzogene körperliche Aktivität bis hin zum Gefahrensport, grenzwertige Reise-Aktivitäten bis hin zum Gefahren-Tourismus, sonstige suspekte Maßnahmen. Oder kurz: Es gibt auch eine "chronische Müdigkeit", die diesen Namen nicht verdient und so auch nicht herabgesetzt werden soll, sondern tatsächlich ein regulierender, insbesondere die Reserven schonender Automatismus von Seele, Geist und Körper ist. Und wer das nicht erkennt und vor allem akzeptiert, vielleicht sogar noch einen kräftemäßig "verschwenderischen" Lebensstil praktiziert, sollte sich nicht wundern, wenn ihn die chronische Müdigkeit als krankhafte Reaktionsform zuletzt doch noch einholt. Das chronische Müdigkeitssyndrom als eigenständiges Leiden? Was versteht man nun unter einem chronischen Müdigkeits-Syndrom? Und vor allem: Ist das ein neues Phänomen, ein Charakteristikum unserer Zeit und Gesellschaft? Die Antwort lautet, wie erwartet: Müdigkeit ist so alt wie die Menschheit und sogar chronische Müdigkeit wurde bereits in den Anfängen der chinesischen Medizin und in der antiken, insbesondere römischen Literatur beschrieben (Cicero, römischer Politiker und Schriftsteller, 106-43 v. Chr.). Daraus entwickelten sich übrigens schon damals therapeutische Hinweise, die bis heute gelten (siehe später). Das Mittelalter brachte bekanntlich wenig medizinische Fortschritte und in der Renaissance besann man sich vorwiegend auf die alten römischen Quellen. Erst im 19. Jahrhundert kamen wieder konstruktive Überlegungen auf und hier insbesondere der Begriff der Neurasthenie ("Nervenschwäche"), wobei auch die (chronische) Müdigkeit wieder ins Zentrum der Überlegungen vorstieß. Und seither wird dieses Thema in der Allgemeinheit zum ständigen Gesprächsthema und in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Dies vor allem nachdem schon vor rund 30 bis 40 Jahren auch körperliche Krankheiten, speziell Virusinfektionen ins Gespräch gebracht wurden (siehe unten). 1987 schließlich schuf man den Begriff "chronisches Müdigkeits-Syndrom" (chronic fatigue syndrome - CFS) - und seither beherrscht diese "Krankheit" Gesellschaft, Wissenschaft, Medien und Allgemeinheit, obgleich es sie nach Ansicht vieler Wissenschaftler als eigenständige Krankheit gar nicht gibt. Ein Beweis für diese Kritik, der allerdings nur ironisch gemeint ist, sind u.a. die vielen bedeutungsgleichen Begriffe (Fachbegriff: Synonyme) für diese "Erschöpfungskrankheit", die nachfolgend im Kasten aufgeführt werden (Erklärung siehe Fachliteratur).
Was wird als Ursache diskutiert? Fachleute erkennen schon aus den verschiedenen Begriffen (siehe Kasten), welche Vielfalt möglicher oder zumindest diskutierter Ursachen beim chronischen Müdigkeits-Syndrom ins Spiel gebracht werden. Deshalb bleibt vorerst der Satz unwiderlegbar:
Um aber wenigstens ein wenig Ordnung in die mehrschichtigen Ursachen-Bündel zu bringen, schlug man in Wissenschaftskreisen vier größere Gruppen vor, nämlich
- endokrinologische, toxikologische oder andere umweltbedingte Einflüsse bzw. - im Rahmen von autoimmunen organspezifischen bzw. -unspezifischen Erkrankungen (z. B. wenn die körpereigene Abwehr durch bestimmte Krankheiten beeinträchtigt ist). Als äußere Auslöser gelten auch langanhaltender Stress bzw. seelische und/oder psychosoziale Belastungen, wie sie durch sexuellen Missbrauch im Kindesalter, durch Schädel-Hirn- oder andere Unfälle, durch Operationen, verstärkte Infektneigung, jedenfalls nicht mehr richtig abheilende "Dauer-Infektionen" vorkommen können, aber auch Überempfindlichkeitsreaktionen auf Nahrungsmittel oder bestimmte Medikamente u.a.m. Entscheidend scheint sich aber keines dieser Belastungsfaktoren auszuwirken, höchstens als zusätzliche Beeinträchtigung. Das Gleiche gilt für die Persönlichkeitsstruktur, die sowohl beim chronischen Müdigkeits-Syndrom als auch bei der Fibromyalgie (sowie bei der Umwelterkrankung und dem Colon irritabile?) gefunden worden sein sollen: Genau bis übergenau, ja perfektionistisch (zwanghaft ordnungsliebend), starkes Gerechtigkeitsgefühl (und hier ein wenig unflexibel?), ehrgeizig und sozial engagiert, aber auch von geringem Selbstwertgefühl geschlagen und nicht selten überaus ängstlich und verletzbar, bis hin zu zwanghaften Befürchtungen (Phobien). Unverkennbar offenbar auch eine etwas hypochondrische Neigung (überzogene Krankheitsfurcht), manchmal sogar mit hysterischem Einschlag. Wie äußert sich ein chronisches Müdigkeits-Syndrom? Die häufigsten Beschwerden im Rahmen eines chronischen Müdigkeits-Syndroms sind (in abnehmender Häufigkeit): Müdigkeit, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Muskelschwäche, Merk- und Konzentrationsstörungen bis zur Vergesslichkeit, manchmal sogar leichte "Verwirrtheit", ferner Reizbarkeit, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Halsschmerzen, erhöhte Temperatur, Atemenge bis Atemnot sowie schmerzhafte Lymphknoten, Heiserkeit, brennende Schleimhäute von Mund und Nase u.a. Interessanterweise - und das lässt eine Verbindung zwischen diesen Leidensbildern vermuten - haben auch die Fibromyalgie und die Multiple chemische Sensitivität ein ähnliches Verteilungsmuster. Als weitere Zusammenhänge finden sich das plötzliche Auftreten ("aus heiterem Himmel"), der oft schubförmige Verlauf, der Wechsel von einem Krankheitszeichen zum anderen, die Abhängigkeit der Beschwerden von äußeren Faktoren (z. B. Monatsblutung, Stress, Wettereinfluss) und ihre Beeinflussbarkeit durch körperliche und geistige Aktivität. Als zusätzliche bzw. schon erwähnte Belastungen, die einen regelrechten Teufelskreis anheizen können, gelten: - Schlafstörungen, vor allem Ein- und Durchschlafstörungen: 30 bis 80 % aller Betroffenen beklagen eine deutliche Abnahme der Schlaftiefe und zeigen tatsächlich im Schlaflabor einen verminderten REM-(Traum-)Schlafanteil. - Eine verstärkte Infektanfälligkeit, beispielsweise mit gehäuften Nasennebenhöhlenentzündungen, - aber auch von Muskulatur und Schleimhäuten von Darm, Blase und Lunge (Stichwörter: Reizdarm, Reizblase, Reizhusten). - Spannungskopfschmerzen bis hin zu Migräne-artigen Beschwerden. - Kognitive Einbußen mit Merk- und Konzentrationsstörungen (Wortfindungsstörungen, Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses). - Angststörungen mit vegetativen Symptomen. Beispiele: schwindelige Benommenheit, Herzklopfen, Schwitzen, Kältegefühl, Mundtrockenheit, Augenbrennen, (wandernde) Missempfindungen, ferner starke Durstgefühle oder Heißhungerattacken. Manchmal regelrechte überfallartige Panikattacken. - Depressive Zustände mit Resignation, Niedergeschlagenheit, Bedrücktheit, Lustlosigkeit, Freudlosigkeit u.a. - Seh- und Hörstörungen. Beispiele: verschwommenes Sehen, Tinnitus (Ohrgeräusche), Hörsturz u.a., die bisweilen einem chronischen Müdigkeits-Syndrom (und einer Fibromyalgie) vorausgehen können. - Psychosoziale Folgen: Nicht nur auf der so genannten Symptom-Ebene (siehe oben), sondern psychosozial verhängnisvoll sind natürlich die Konsequenzen in zwischenmenschlicher Hinsicht: Partnerschaft, vor allem Ehe, Familie und Erziehung, aber auch Nachbarschaft, Freundeskreis, insbesondere aber im Beruf und Verkehr oder sonstigen Situationen, die geistige Frische und gesunde Reaktionsfähigkeit verlangen. Man denke nur an Arbeitsplätze mit laufenden Maschinen und die Folgen der Müdigkeit am Steuer, vom Einschlafen ("Sekunden-Schlaf") ganz zu schweigen. Letzteres soll zum Beispiel eine viel häufigere Ursachen von Verkehrsunfällen sein als bisher exakt nachweisbar (die Zahl der müdigkeitsbedingten Verkehrsunfälle variiert sehr stark, nämlich zwischen 1 und 30 %, wobei vor allem das Schlaf-Apnoe-Syndrom mit einem erhöhten Unfallrisiko verbunden ist. Wen trifft das chronische Müdigkeits-Syndrom? An Betroffenen mangelt es nicht, wohl aber an einer gewissen Einheitlichkeit jener Aspekte, die sich bei besser definierbaren Erkrankungen häufen und damit das gesamte Leidens-Spektrum schärfer fassen lassen. Was man bisher weiß, sind folgende Erkenntnisse: · Frauen sind häufiger betroffenen als Männer (2- bis 3-mal öfter?). · Die Häufigkeit ist schwer festlegbar, vor allem wenn die Definition und Klassifikation noch nicht allseits akzeptiert ist. So spricht man beispielsweise von 2,3 bis 7,4 pro 100.000 Menschen bei den über 18-Jährigen mit einem mittleren Alter von 35 bis 38 Jahren. Therapie: Bisher gibt es keine effektive, insbesondere kausale Therapie, die die entscheidenden Ursachen beheben könnte (da man sie noch nicht kennt). Man wird also von Fall zu Fall herausfinden müssen, welche Maßnahmen am besten das jeweilige Beschwerdebild beeinflussen. Vor allem darf der Patient über diese Situation nicht im Unklaren gelassen werden. Entscheidend ist also eine gute Arzt-Patient-Beziehung, eine ungeschönte Aufklärung und konkrete Hinweise, was der Betroffene selber tun kann.
Dies alles sind Möglichkeiten, die den Betreffenden nicht "entlarven" ("Hypochonder"), sondern auf die eigentlichen Ursachen zurückführen sollen. Denn wenn ihm von allen Seiten nur die Unbedenklichkeit seiner geklagten Stör-Ursachen bescheinigt werden, das Leidensbild aber unverändert belastet oder gar immer unerträglicher wird, dann kann es nur einen Weg zur Milderung oder gar Heilung geben: die richtige Ursache, z. B. in seelischer Hinsicht. - Auf psychologischer Ebene müssen die Patienten lernen, vermehrt "nein" zu sagen, und zwar sowohl gegenüber den Forderungen von anderen als auch ihren eigenen Ansprüchen, die meist ebenfalls nicht gerade kräfte-schonend sind, was Perfektionismus, Arbeitstempo, Leistungsanforderungen u.a. anbelangt. Was zu viel ist, muss reduziert, wenn nicht abgebaut werden. Es gilt einen neuen Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung zu finden, zu trainieren und vor allem durchzuhalten. - Physiotherapeutisch empfiehlt sich - je nach Beschwerdebild - auch der Einsatz von Kälte oder Wärme (siehe Fibromyalgie und Colon irritabile). Die Selbstbehandlung mit körperlicher Aktivität (täglicher Gesundmarsch bei Tageslicht), gymnastischen Übungen und vor allem Entspannungstechniken mit konsequenter Anwendung von Autogenem Training, Yoga oder Progressiver Muskelrelaxation sollten eigentlich zur (selbst-)therapeutischen Grundausstattung gehören. - Medikamentös geht es meist um die Linderung des jeweiligen Beschwerde-Schwerpunktes, dem man psycho- und soziotherapeutisch sonst nicht befriedend beikommen konnte. Beispiele: Schlafstörungen, Schmerzen, Depressionen, Angstzustände, kräftezehrende innere Unruhe, Nervosität und Anspannung, Muskelverkrampfungen u.a. Demzufolge verordnet der Arzt Schmerzmittel, Antirheumatika, Schlafmittel, Beruhigungsmittel, stimmungsaufhellende Antidepressiva sowie - meist als ersten Versuch - pflanzliche Arzneimittel wie Johanniskraut, Baldrian, Hopfen, Melisse usw. - Ziel der übergeordneten lebensbegleitenden Maßnahmen (Lebensplanung) ist vor allem eine bessere Stressbewältigung, die Änderung von belastenden Lebensgewohnheiten, der Abbau von Versagensängsten und unnötigen Verstimmungszuständen, vor allem aber die körperliche Aktivität und gesunde Lebensweise in jeglicher Form. - Wenn es Not tut und der Patient sich deshalb nicht abgewertet fühlt (Verdacht, seine Leidenshinweise würden als Simulation missdeutet, deshalb konsequente Aufklärungs- und Informationsarbeit!), dann empfehlen sich auch ambulante (notfalls stationäre) psychotherapeutische Maßnahmen, speziell verhaltenstherapeutisch orientiert. - Naturheilverfahren pflegen zwar in der Schulmedizin auf weniger Zustimmung zu stoßen, doch werden ohnehin alternative Therapieverfahren versucht, was gerade bei diesen Patienten durchaus seinen Sinn haben kann (Angst vor Nebenwirkungen chemischer Arzneimittel, die durch die skeptische und furchtsame Einstellung deren Effektivität von vornherein untergraben können). Manchmal bringt sogar die gleichzeitige Anwendung schulmedizinischer und alternativer Behandlungsmöglichkeiten einen erstaunlichen Fortschritt, obgleich dies sicher von beiden Seiten erst einmal abgelehnt wird.
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |