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Schlafwandeln

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Selten, aber nicht ungefährlich, wenn die Umgebung falsch reagiert

Schlafwandeln schaut sich "originell" an - besonders auf entsprechenden Bildmotiven. In Wirklichkeit aber ist es eine ggf. riskante Form der Schlafstörung, im Kindesalter gar nicht so selten, in der Jugend zurückgehend und im Erwachsenenalter kaum mehr registrierbar. In jungen Jahren soll man es beobachten, aber nicht dramatisieren. Erwachsene hingegen sollten sich neurologisch-psychiatrisch untersuchen lassen, denn Schlafwandeln kann verschiedene Ursachen haben und auch durch andere Leiden vorgetäuscht werden, die es ebenfalls abzuklären gilt.

Für den Akutfall aber ist vor allem eines wichtig: nicht falsch reagieren. Dies gilt für den Betroffenen wie seine Umgebung. Während aber der Schlafwandler in der Regel kaum etwas dazu tun kann, müssen sich Angehörige und Nachbarn vor allem eines merken: Es gibt keine "schlafwandlerische Sicherheit". Und besonders gefährlich wird es dann, wenn man den Betroffenen weckt, womöglich noch in ungewohnter Umgebung. Denn dann wacht er auf, erschrickt - und stürzt ggf. ab. Also muss man versuchen, ihn so sicher wie möglich wieder in sein Bett zurückzubringen, und zwar ohne ihn zu wecken, d.h. weiterhin als Schlafwandler.

Glücklicherweise beschränkt sich die überwiegende Mehrzahl auf eine Art "verwirrtes Aufwachen", ratloses "Umherschauen", bestenfalls orientierungs-loses "Umhergeistern" in der Wohnung. Doch auch hier wäre eine nervenfachärztliche Beratung nicht falsch, besonders im Erwachsenenalter und in Kindheit und Jugend, wenn sich dies öfter wiederholen sollte.

Beim Schlafwandeln fallen einem besonders jene Bilder ein, bei denen der Betroffene im Nachthemd (und vielleicht sogar noch Schlafmütze) mit ausgestreckten Armen auf einem Dachfirst dem Vollmond zustrebt. Und selbst wenn man weiß, das kann nicht ungefährlich sein, hat diese Szene etwas romantisches an sich - fast könnte man neidisch werden …

Doch die Wirklichkeit sieht, wie so oft, ganz anders aus. Selten zwar, aber in regelmäßigen Abständen berichten vor allem die Tageszeitungen von letztlich unfassbaren Abstürzen, unverständlich, weil ohne Not, zur nachtschlafenden Zeit und das alles von Balkonen, Fenstern, Feuerleitern und - wenn auch deutlich seltener - Dächern. Und im unglücklichsten Falle auch noch mit Todesfolge.

Die ermittelnden Behörden denken dann erst einmal nach dem herkömmlichen Schema: "Was häufig ist ist häufig - was selten ist ist selten". Und da rangieren Unfälle (nicht zuletzt unter Alkoholeinfluss, gelegentlich auch Rauschdrogen) an erster Stelle, gefolgt von kriminellen Taten und schließlich "sonstigen Ursachen". Und hier kann dann auch einmal das Schlafwandeln diskutiert werden, allerdings sehr viel zurückhaltender als man meinen möchte.

Auch ist dieser Verdacht relativ "unbeliebt". Denn zum einen ist er schwer zu beweisen, zum andern wirkt er irgendwie "verstaubt" und "nicht recht ernst zu nehmen". Schlafwandeln passt einfach nicht in unsere Zeit und Gesellschaft. Denn es gibt "handfeste Gründe" und solche, mit denen man sich nur lächerlich machen kann. Da strapaziert man lieber die gängigen Ursachen und überlässt die "Verrücktheiten" den zuständigen Fachleuten, also Psychiatern und Psychologen.

Diese sind aber auch nicht sonderlich erbaut, wenn man die Verdachtsdiagnose "Schlafwandeln" zur Diskussion stellt. Die meisten dürften sich in diese Materie erst einmal einlesen müssen (wobei es relativ wenig praxis-bezogene Fachliteratur gibt). Und dann stellt sich auch noch heraus: Schlafwandeln ist nicht gleich Schlafwandeln und lässt sich medizinisch gar nicht so einfach beweisen bzw. diagnostizieren und behandeln.

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zur ersten Orientierung. Ein ausführlicher Beitrag zum Thema "Schlafwandeln" findet sich in dieser Internet-Serie unter der Sparte "Psychiatrie heute".

Was heißt Schlafwandeln?

Schlafwandeln (wissenschaftlicher Fachausdruck: Somnambulismus) gehört zu den sogenannten Parasomnien. Das sind abnorme Ereignisse, und zwar entweder während des Schlafes oder an der Schwelle zwischen Wachsein und Schlafen. Von den verschiedenen, reichlich umständlichen Definitionen ist die einfachste:

Schlafwandeln: komplexe Verhaltensweisen im Schlaf, vom einfachen Aufsetzen bis zu konkreten Tätigkeiten im Haushalt. Am Schluss Erinnerungslosigkeit.

Wie viele Menschen sind davon betroffen?

Genaue Zahlen gibt es nicht. Etwa 10 bis 30 % aller Kinder (am häufigsten hört man die Zahl von 15 % bei den 5 - 12-Jährigen) sollen mindestens einmal in ihrem Leben im Schlaf umhergewandelt sein. Tritt dieses Phänomen mehrfach auf, reduziert sich das auf 1 bis 6 % in diesem Alter. Meist beginnt es zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr und verliert sich in etwa 70 bis 80 % bis zur Pubertät.

Im Erwachsenenalter findet man es kaum noch. Man vermutet etwa 1 bis 2,5 % erwachsene Schlafwandler. Beide Geschlechter sollen annähernd gleich betroffen sein.

Was sind die Ursachen?

Wissenschaftlich gibt es kein einheitliches Erklärungsmuster. Zumeist beginnt das Schlafwandeln innerhalb der ersten Schlaf-Stunden, also in der Regel im ersten Drittel der Nacht und während des Tiefschlafes. Bestimmte organische Reize (z. B. eine gefüllte Blase) oder äußere Beeinträchtigungen (z. B. Lärm) können die Neigung zum Schlafwandeln erhöhen.

Dasselbe gilt für psychosoziale Belastungen sowie den Konsum von Alkohol und bestimmten Medikamenten. Fiebrige Erkrankungen (vor allem im Kindesalter) sowie Ermüdung und Stress können ebenfalls bahnend wirken. Auch scheint es einen Zusammenhang zwischen Schlafwandeln und Migräne-Neigung zu geben.

Ist Schlafwandeln erblich?

Schlafwandeln tritt in manchen Familien gehäuft auf. Tatsächlich diskutiert man auch eine genetische Prädisposition, also eine erbliche Belastung.

Kommen Schlafwandeln und dramatische nächtliche Angstreaktionen zusammen (Fachausdruck: Pavor nocturnus), dann finden sich in der Vorgeschichte der Angehörigen ähnliche Hinweise bis zu 80 %. Annähernd 10 bis 20 % haben einen biologischen Verwandten 1. Grades, der auch unter dieser Störung leidet.

Sind beide Eltern betroffen, erhöht sich das Risiko auf bis zu 60 % für die Nachkommen.

Welche Altersgruppen sind besonders betroffen?

Schlafwandeln ist - wie erwähnt - bei Kindern gar nicht so selten. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden geht es deutlich zurück. Im Erwachsenenalter ist es kaum noch registrierbar, zumindest statistisch. Möglicherweise gibt es aber dort eine "hohe Dunkelziffer", d. h. die Betroffenen wenden sich aus Gleichgültigkeit oder Scham nicht an ihren Arzt und gehen damit auch nicht in die Statistik ein.

Ob man zum Schlafwandler wird oder nicht hängt aber nicht zuletzt von den erwähnten Voraussetzungen ab. Auf jeden Fall dürften erwachsene Schlafwandler schon in Kindheit und ggf. Jugend "gewandelt" sein. Wenn das nachweisbar erstmals im Erwachsenenalter passieren sollte, dann empfiehlt sich auf jeden Fall eine fachärztliche, d. h. psychiatrische und neurologische Untersuchung. Denn dann müssen organische Störungen ausgeschlossen werden, die unter Umständen an ein Schlafwandeln erinnern können: bestimmte Epilepsie-Formen, Schlaftrunkenheit, das Schlaf-Apnoe-Syndrom, das erwähnte nächtliche Aufschrecken, also der Pavor nocturnus sowie Schlafwandeln durch bestimmte Arzneimittel, denn selbst das gibt es.

Was kann beim Schlafwandeln passieren?

In der Mehrzahl der Fälle pflegt beim Schlafwandeln glücklicherweise nichts zu passieren. Denn zumeist kommt es gar nicht zu jenem "nächtlichen Umhergeistern", wie man dies aus den üblichen Darstellungen kennt, bis hin zu Dächern und Feuerleitern.

In leichteren Fällen, auch als "verwirrtes Aufwachen" bezeichnet, setzt sich der Betroffene einfach nur im Bett auf, schaut ratlos, verwirrt und desorientiert umher bzw. an die Decke und beginnt bestenfalls zu nesteln, zu zupfen oder zu wischen, schiebt Kissen oder Bettzeug hin und her usw.

In fortgeschrittenen Fällen verlässt er aber schon das Bett, geht an Schränke, öffnet Türen und Fenster (was bereits nicht mehr ungefährlich ist), verlässt das Zimmer, steigt (meist innerhalb des Hauses oder der Wohnung) Treppen hinauf und hinab, geht in Badezimmer oder Toilette u.a.

Im Allgemeinen pflegt dieser "nächtliche Ausflug" aber zu enden, bevor das eigentliche Stadium des Schlafwandelns erreicht ist. Es können sich jedoch auch riskante Situationen ergeben, die man dann vorbeugend entschärfen muss.

Denn entgegen der allgemeinen Meinung von der "schlafwandlerischen Sicherheit" sind die Betroffenen während des Schlafwandelns und ganz besonders beim Aufwachen oder gar Aufgeweckt-Werden durchaus gefährdet, je nachdem, wo sie sich gerade befinden.

Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, dass sich der Schlafwandler in der Regel geradeaus bewegt. Dies auch dort, wo sein Weg zu Ende ist. Das kann dann in der Tat zu verhängnisvollen Unfällen führen: Sturz von Balkon oder Feuerleiter, aus dem Fenster, von Mauer, Felsen oder Steg herab.

Denn der Schlafwandler "schaut" nach vorne, ohne sich konkret orientieren zu können, auf was er sich hinbewegt. Wo seine begehbare Unterlage endet, geht er weiter - und stürzt ggf. ab. Das ist eine der größten Gefahren dieser Schlafstörung.

Spielt der Mond eine Rolle?

Schlafwandeln heißt nicht umsonst auch "Mondsüchtigkeit" (Fachausdruck: Lunatismus). Die meisten Anekdoten und bildhaften Schilderungen unterstützen diese Vorstellung ja auch.

Tatsächlich ist der Einfluss des Mondes nicht auszuschließen. Doch rein äußerlich ist erst einmal eine ausreichende Lichtquelle wichtig. Davon scheinen die Schlafwandler regelrecht fasziniert zu sein. Früher, wo der Mond die wichtigste Lichtquelle war, bewegten sie sich tatsächlich in seine Richtung, unabhängig von waghalsigen Touren. Heute spielt der Mond keine herausragende Rolle mehr, ist er doch in einer üblichen Wohngegend nur ein Helligkeitsfaktor unter vielen - romantisch vielleicht, aber von der Lichtintensität her jeder Straßenlaterne unterlegen.

Deshalb wendet sich der Schlafwandler eher in Richtung jener Lichtquellen, die für ihn intensiver und leichter erreichbar sind. Da seine Orientierung mangelhaft ist, bleibt er auf Äußerlichkeiten angewiesen, z. B. auf eine richtungsweisende Lichtquelle. Das kann auch heute noch der Mond sein, im Allgemeinen aber ein stärkeres künstliches Licht in der Nähe.

Was sollte man vorbeugend tun?

Die Absturzgefahr, also die schlimmste Folge des Schlafwandelns, ist vor allem dann gegeben, wenn man den Betroffenen während seines "Wandelns" abrupt weckt. Das kann auch durch besorgte Zurufe geschehen. Der Schlafwandler wird dann plötzlich wach, sieht sich in ungewohnter Umgebung - und reagiert erschreckt und meist falsch.

Deshalb ist es wichtig, den Schlafwandler während des Wandeln in gefährlicher Umgebung so behutsam zu steuern, dass er möglichst alleine wieder ins Bett findet, auch wenn er sein Bewusstsein und die völlige Orientierung noch nicht erlangt hat. Das kann mitunter sehr kritisch werden, je nachdem, wo man ihn zur Umkehr bewegen will. Manchmal hilft dabei - so originell sich das anhört - auch etwas Essbares. Denn einige Schlafwandler entwickeln auch ein unbändiges Hungergefühl. Bietet man ihm etwas Essbares an (aber möglichst ohne zu wecken), kann man ihn ggf. leichter in sein Bett zurück lotsen.

Ist Schlafwandeln therapierbar?

Wie erwähnt: Im Kindesalter ist Schlafwandeln nicht selten, eher harmlos und "wächst sich im Laufe der Jahre von selber aus". Beim Heranwachsenden und Erwachsenen sollte man sich allerdings seinem Arzt anvertrauen. Dieser wird einen Spezialisten (in der Regel einen Neurologen und Psychiater) empfehlen. Und damit ist der Patient erst einmal in den richtigen Händen.

Das Wichtigste ist dann die zutreffende Diagnose. Denn ein solches "nächtliches Umhergeistern" kann auch durch andere seelische und neurologische Störungen ausgelöst und unterhalten werden (z. B. durch die erwähnte Epilepsie). Dann muss man natürlich diese Grundkrankheit therapieren.

Handelt es sich jedoch um ein echtes Schlafwandeln, gilt es erst einmal gefährliche Konsequenzen auszuschließen: Fenster, Balkon- und Außentüren verriegeln, Hindernisse entschärfen, Vorsicht in fremder Umgebung während Urlaub oder Umzug u.a.

Wichtig ist auch die richtige Reaktion der Umgebung: kein brüskes Anrufen oder gar Aufwecken, sondern behutsam wieder ins Bett zurücksteuern.

Auch bei ungewöhnlicher Häufung im Kindes- und Jugendalter empfiehlt sich eine entsprechende fachärztliche Abklärung (Kinder- und Jugendpsychiater, Neurologe). Von dort kommen dann auch gezielte Empfehlungen, von Entspannungsverfahren über Schlafhygiene bis zur verhaltenstherapeutischen Psychotherapie oder auch Medikamenten.

Dies gilt doppelt für erwachsene Schlafwandler, die nicht selten mit weiteren seelischen Störungen zu ringen haben, die dann ebenfalls zur diagnostizieren und zu behandeln sind, teils psychotherapeutisch, teils medikamentös, teils beides. Die Heilungsaussichten sind auch dort - eine konsequente Behandlung vorausgesetzt - nicht ungünstig, was sich nicht nur auf das Schlafwandeln, sondern auch auf die weiteren seelischen Beeinträchtigungen auszuwirken pflegt (Prof. Dr. med. Volker Faust).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).