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Über das Älterwerden heute (2)

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Was wir von der Langlebigkeit der Hochbetagten lernen können

Sicherlich: Wer alte Eltern hat, kann sich in puncto Lebenserwartung höhere Chancen ausrechnen. Dieser „genetische Vorsprung“ ist nicht wegzudiskutieren. Aber das ist beileibe nicht alles. Es bleibt noch viel Eigen-Initiative übrig. Die aber wird gerne unterschätzt (oder aus durchsichtigen Gründen lächerlich gemacht). Da hält man sich lieber an die wohlfeilen Versprechungen cleverer Gesundheits-Anbieter (denen man zwar auch nicht so recht traut, „aber probieren kann man es ja schon einmal“ – auch wenn es viel Geld kostet).

Deshalb ist es eigentlich kein Fehler, wenn man trotz aller Gleichgültigkeit, Trägheit, Überheblichkeit oder Besserwisserei einen Blick auf die Erkenntnisse früherer Jahrhunderte wirft, in denen man sich natürlich auch schon Gedanken über Gesundheit und ein hohes Lebensalter machte. Und noch wichtiger: Wie haben es eigentlich die Hochbetagten selber geschafft, so alt zu werden?

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht als Teil 2 dieser kleinen Serie über das Älterwerden heute.

Alt werden ohne zu altern, das ist eine naive Wunschvorstellung, die nimmt niemand ernst. Älterwerden und halbwegs gesund bleiben, das klingt schon realistischer. Und hier gibt es ja bekanntlich eine wachsende Zahl von Angeboten, Vorschlägen, Tipps und Hilfsmitteln, die teils einiges kosten, teils umsonst zu haben sind, dann aber wiederum Einsatz, Engagement, Initiative, Selbstbeschränkung – kurz: also doch etwas kosten, nämlich vor allem Disziplin und Voraussicht in puncto Lebensführung.

Wie wäre es aber, wenn man ganz einfach mal nachlesen würde, was nicht nur die theoretischen, sondern wahren Experten in Sachen Langlebigkeit zu berichten und damit zu empfehlen haben? Gemeint sind die Hochbetagten, die Über-100-Jährigen.

Nachfolgend eine kurz gefasste Übersicht als 2. Teil dieser kleinen Serie über das Älterwerden heute.

Wie sahen es unsere Vorfahren?

Dass man sich mit dem gesunden Älterwerden seit Menschengedenken befasst, geht schon aus 4.000 Jahre alten Papyrusrollen hervor. Im chinesischen Kaiserreich versucht man geradezu hektisch den „Stein der Weisen“ zu finden, zumindest aber ein Lebens-Elixier, ein „Kraut des ewigen Lebens“ (was gerade in der chinesischen Medizin bis heute keine geringe Rolle spielt). Das benachbarte Indien war da etwas realistischer und versuchte sich vor allem an spirituellen Möglichkeiten der Lebensverlängerung.

In der Antike des alten Griechenland und des Römischen Imperiums beschäftigte sich die Heilkunde sehr intensiv mit der Lebensverlängerung und gab sogar konkrete, durchaus „bodenständige“ Empfehlungen, die bis heute gelten (z. B. Ernährungsverhalten, körperliche Aktivität, seelische Stabilisierung, „Mäßigkeit in allen Dingen“).

Im Mittelalter war es vor allem die Kloster-Medizin mit ihren Pflanzenheilmitteln (derzeit wieder groß „im Geschäft“: die Äbtissin Hildegard von Bingen). Köstlich übrigens die Empfehlungen der „Jung-Brunnen-Theorien“ zur Lebenserfrischung und Verjüngung.

Den wissenschaftlichen Durchbruch schaffte Dr. Christoph Hufeland (auch Hausarzt von Goethe). Er griff auf die alten Erfahrungen zurück und fand vier entscheidende Faktoren für ein hohes und gesundheitlich befriedigendes Lebensalter:

– Genetische, d.h. erbmäßige Anlage und Konstitution (wörtlich: die „jedem Individuum zugewiesene Lebenskraft“)

– den Abnutzungsgrad der Körperorgane

– den Grad des Körperstoffwechsels (Ausmaß des Verbrauchs, wobei das menschliche Leben mit einer brennenden Kerze verglichen wurde, die man schneller oder langsamer abbrennen lassen kann, heute mitunter gleich von beiden Seiten...)

– die Regenerationsfähigkeit, also Erholungsmöglichkeiten vom seelischen bis organischen Pol

Im 19. Jahrhundert gewann schließlich die Geriatrie, also Altersheilkunde an Bedeutung, ergänzt durch die Gerontologie (auch Geratologie genannt, also Altersforschung), die Gerohygiene, die Geroprophylaxe und die Gerontopsychiatrie.

Wie sieht man es heute?

Wissenschaftlich exakte Studien zur Erforschung der Langlebigkeit gibt es allerdings erst seit einigen Jahrzehnten. Dabei bestätigten sich im Wesentlichen die bekannten Voraussetzungen für eine erfreuliche Lebenserwartung, jetzt allerdings unter heutigen Bedingungen. Dazu zählen:

– Ein höherer sozio-ökonomischer Status mit besserer Schulbildung und einem angeseheneren Beruf mit höherem Einkommen.

– Ein höherer Intelligenzgrad mit einem stärkeren Maß an Anpassungs- bzw. Auseinandersetzungsbereitschaft mit der jeweiligen Lebenssituation.

– Eine hoffnungsvollere Stimmungslage mit entsprechender Lebensfreude und höherer körperlicher und geistiger Aktivität sowie geringerer Neigung zur Aufregung, innerer Unruhe, Nervosität und Reizbarkeit.

– Eine auch „außerfamiliär“ verstärkte Kontaktbereitschaft und

– ein konsequenteres Gesundheitsbewusstsein mit entsprechend geringerer Krankheitsanfälligkeit.

Entscheidend ist aber nicht ein einzelner Faktor, sondern die „optimale Konstellation“ aus biologischer, psychologischer und sozialer Sicht. In praktisch allen wissenschaftlichen Modellen wiederholen sich jedoch die bedeutendsten Aspekte, nämlich Erbeinflüsse, Schule, Beruf, sozio-ökonomischer Status, Persönlichkeitsstruktur, Intelligenz, Verhaltensweisen (Aktivität, Stimmung, Anpassung, Sozialkontakt), Ernährung, ökologische Faktoren (Umwelt), Gesundheitsvorsorge (Gesundheitsbewusstsein), Hygiene, soziale Umwelt u. a.

Das heißt, wer wirklich alt werden will, muss mehr Bedingungen erfüllen als nur hochbetagte Eltern aufzuweisen (obgleich dies zu den wichtigsten Faktoren gehört, das muss man allerdings zugeben).

Was empfehlen uns die Hochbetagten selber?

Interessant in diesem Zusammenhang war eine vor einigen Jahrzehnten abgeschlossene Studie, bei der der Würzburger Internist Prof. Dr. H. Franke 575 urkundlich belegte (das ist der kritische Punkt vieler anscheinend Über-100-Jährigen in Mittel- und Südamerika, dem Fernen Osten, Russland u. a.) und ältere Personen in der damaligen Bundesrepublik Deutschland untersuchte. Was er dabei fand, besonders zu Geschlecht, Zivilstand, Beruf, Lebensstil, Ernährungsweise, Ess- und Trinkgewohnheiten, Genussmitteln, körperlicher Aktivität und insbesondere psychosoziale Besonderheiten, hat schon damals so manche erstaunt:

  • Ja, zwei Drittel der von H. Franke untersuchten Über-100-Jährigen stammten aus Familien mit überdurchschnittlicher Lebenserwartung und hatten keine lebensbedrohlichen Risiken zu bewältigen. Bezüglich des Geschlechts bestätigte sich der heutige Trend: Frauen werden älter als Männer (wobei die exzessiv rauchenden Mädchen von heute diesen Vorsprung wahrscheinlich zum Schmelzen bringen werden...).
  • Was den Beruf anbelangt, so war zumindest früher harte körperliche Arbeit kein Alters-Hemmnis, im Gegenteil. Die meisten hatten ein durchaus mühevolles Leben hinter sich, allerdings ohne Extrem-Überlastung und mit den notwendigen Ruhepausen (frühere Generationen hatten mehr Arbeit, die heutige mehr Stress - was ist gesünder?). Spezielle „alterns-günstige“ Berufe gab es nicht.
  • Bekannt ist der vorteilhafte Lebensstil was Ernährungsweise (gesund und eher weniger), Trinkgewohnheiten (ausreichend Flüssigkeit pro Tag: Ältere haben leider kein Durstempfinden mehr und vergessen das Trinken, es droht die Austrocknung) und Genussmittel (kein Nikotin, Alkohol und Kaffee in Maßen) anbelangt.

Franke’s Hochbetagte hatten sich übrigens im letzten Lebensdrittel ihre eigenen Nahrungsmittel-Kombinationen zusammengestellt und vor allem das Abendessen „schmal“ gestaltet. Besondere Tipps werden zwar für alle langlebigen Völker gehandelt (im wahrsten Sinn des Wortes, das bringt Geld für rührigen Produzenten), in Deutschland allerdings gibt es bei den alten Menschen offenbar keine überdauernden Nahrungsmittel-Favoriten. Ernstere Defizite sind bei uns auch nicht zu befürchten.

  • Wichtig ist und bleibt aber die körperliche Aktivität, selbst unter den typischen und in der Regel auch bei Hochbetagten natürlich zu vermeidenden Belastungen (Wirbelsäule, Gelenke, Muskulatur, Herz-Kreislauf u. a.). „Wer rastet, der rostet“, war die Standard-Mahnung. Dass die bekannte Mattigkeit tagsüber und unbefriedigender Schlaf nachts ihren Preis haben, wurde zumeist als selbstverständlich hingenommen.
  • Bedeutsam ist aber auch die Erhaltung der geistigen Fähigkeiten: Hier hat sich vor allem das „lebenslange Lernen“ bewährt, wenn auch in bescheidenem Rahmen. Aufgeweckt und interessiert ist nicht jedermann gegeben, aber „leidenschaftslos und beharrlich am Ball bleiben“, das ist schon machbar.
  • Entscheidend sind auch die zwischenmenschlichen Kontakte. Das lässt sich zwar mitunter nur mühsam durchsetzen, doch möglich ist es allemal, selbst unter erschwerten Bedingungen. Ist auch das Eingebundensein und damit die Anerkennung durch Familie, Verwandten- und Bekanntenkreis, durch Nachbarschaft u. a. nicht immer garantiert, so muss man auch im Heim nicht grundsätzlich seelisch-geistig untergehen. Ausschlaggebend ist die positive Einstellung und eine - wenn möglich - grund-optimistische Stimmungslage. Auch der Humor spielt eine tragende Rolle. Und die Religiosität. Ein Energie-Spender eigener Art sind auch Hobbys bis ins hohe Alter. Und wenn man dies alles zusammenfasst, dann in der Schilderung eines älteren schweizerischen Alternsforschers, der da schrieb:

„Von mal zu mal stand ich im Banne dieser unbeirrbaren Frömmigkeit und Abgeklärtheit, die so für den Beschauer irgendwie beschämend wirkende Bescheidenheit, Dankbarkeit, Demut und Ergebenheit in eine gütige Vorsehung“.

Man kann es auch wissenschaftlicher oder philosophischer ausdrücken, aber treffender wohl kaum.

  • Günstig ist natürlich auch ein besserer sozio-ökonomischer Status. Wer möchte das bezweifeln. Allerdings: Ganz so einfach liegen die Dinge dann auch wieder nicht. Natürlich spielen die Einkommensverhältnisse eine bedeutsame Rolle, jedoch weniger als verfügbares Geld, mehr als sinnvoller Einsatz, z. B. in Lebensstil und Gesundheitsbewusstsein (wobei die Ober- und Mittelschicht hier offenbar eine bessere („intelligentere“) Ausgangslage hat, vom Lateinischen: intellegere = einsehen). Dazu gehören dann auch die nicht nur medizinisch-biologisch, sondern auch psychologisch abhängigen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Stoffwechselstörungen u. a. (man denke nur an Genussgifte, Bewegungsmangel und Übergewicht).
  • Schon eindeutiger mit einem höheren sozio-ökonomischen Status und damit günstigerer Ausgangslage verbunden sind natürlich Wohnlage bzw. Umwelteinflüsse im weitesten Sinne: Lärm, Luft, Wasser, Grün-Anteil, aber auch Nachbarschaft, je nach verkehrs-belasteten und übervölkerten Stadtvierteln bzw. grünen Außenbezirken.

So gesehen hat der alte Sinnspruch schon seine Berechtigung: „Das ganze Geheimnis, sein Leben zu verlängern, besteht darin, es nicht zu verkürzen“.

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).