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PSYCHOPHARMAKA IN SCHWANGERSCHAFT UND STILLZEIT

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Nichts irritiert eine werdende Mutter und ihr Umfeld so sehr wie der Gedanke, die bisher zwar hilfreichen, aber jetzt ggf. riskanten Medikamente könnten anlässlich einer Schwangerschaft dem Kind im Mutterleib schaden. Die häufigste Reaktion ist deshalb so nachvollziehbar wie ggf. folgenschwer: Weglassen des Arzneimittels, möglicherweise noch ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt. Das könnte sich als doppelter Fehler erweisen:

Zum einen sind die wesentlichen kindlichen Entwicklungsschritte bereits abgeschlossen, wenn eine Schwangerschaft üblicherweise festgestellt wird, d. h. zwischen der 7. und 9. Schwangerschaftswoche. Das ist bei ungeplanten Schwangerschaften die Regel, bei geplanten nicht selten. Zum anderen kann das plötzliche Absetzen im Rahmen einer Psychopharmaka-Behandlung den bisher stabilen seelischen Zustand der Mutter in Gefahr bringen.

Drei Fragen gilt es deshalb rechtzeitig zu klären, und zwar grundsätzlich in Rücksprache mit behandelndem Hausarzt, Gynäkologen und Psychiater:

1. Wie wird sich die Schwangerschaft auf das seelische Befinden auswirken?

2. Verschlechtert sich das seelische Leiden, wenn die bisher eingenommenen Psychopharmaka abgesetzt werden und

3. wie wirken sich die Psychopharmaka auf die Entwicklung des Ungeborenen aus?

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zu den wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang.


Erwähnte Fachbegriffe:

Schwangerschaft und Arzneimittel - Schwangerschaft und Stillzeit - Neuroleptika - Antipsychotika - Antidepressiva - Tranquilizer - Beruhigungsmittel - Phasenprophylaktika - Affekt-Stabilisatoren - Hypnotika - Schlafmittel - Embryonal-Toxikologie - Organo-Genese - Organentwicklung im Mutterleib - Feto-Toxizität - Frucht-Schädigung im Mutterleib - Kinderwunsch und psychische Störung - postpartale Depression - Rückfallgefahr nach Medikamenten-Absetzung - Interruptio - Schwangerschaftsabbruch - schwere psychische Dekompensation während der Schwangerschaft - Fehlgeburt - Totgeburt - Frühgeburt - Wachstums-Retardierung - Wachstums-Verzögerung - u.a.m.

Dass eine zukünftige Mutter ihre Bedenken hat, wenn sie unter Arzneimitteln mit Wirkung auf das Zentrale Nervensystem und damit Seelenleben, also unter Psychopharmaka schwanger werden will, ist verständlich. Und dass sie vom Kinds-Vater, ihren Angehörigen, Freundinnen und Bekannten darin bestätigt wird, ist ebenfalls nachvollziehbar. Das Negative vergangener Zeiten ist vor allem dann sinnvoll, wenn es in Zukunft präventiv verhindert werden kann. Und hier gibt es eine Reihe weniger bekannter Beispiele, vor allem aber das Contergan®-Drama, das zwar mittlerweile vier Jahrzehnte zurück liegt, uns aber immer noch im Alltag begegnet - und zweckmäßigerweise bei diesem Thema dauerhaft sensibilisieren soll.

Die Frage lautet also: Dürfen Neuroleptika und Antidepressiva (also antipsychotisch und stimmungsaufhellend wirkende Psychopharmaka), Tranquilizer (Beruhigungsmittel), aber auch Phasenprophylaktika (rückfallverhütende psychotrope Substanzen, auch Affekt-Stabilisatoren genannt), Hypnotika (Schlafmittel) u.a. während Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen werden?

Die Antwort lautet: Das kommt auf den Einzelfall an, nämlich Patientin, Schwangerschaftsverlauf, ärztliche Betreuungsmöglichkeiten, vor allem aber das Arzneimittel mit seinem spezifischen Wirkungs-, Nebenwirkungs- und Wechselwirkungs-Spektrum. Was muss man wissen?

Drei Fragen gilt es zu klären

Drei Fragen beschäftigen die Betroffenen vor allem dann, wenn die zukünftige Mutter an einer seelischen Krankheit litt oder noch immer leidet und deshalb entsprechende Psychopharmaka bekommt:

1. Wie wird sich die Schwangerschaft auf das seelische Befinden auswirken?

2. Verschlechtert sich das seelische Leiden, wenn die bisher eingenommenen Psychopharmaka in ihrer Dosis reduziert oder gar abgesetzt werden müssen?

3. Wie wirken sich die Psychopharmaka auf die Entwicklung des Ungeborenen aus, wenn die Patientin sie während der Schwangerschaft eingenommen hat?

Diese in der Tat beunruhigenden Fragen brauchen eine qualifizierte Beratung, die alle Aspekte berücksichtigt und eine fundierte Nutzen-Risiko-Abwägung möglich macht. Dabei sollte auch der Vater in diese Entscheidung mit einbezogen werden. Bei weiteren Angehörigen oder gar Freunden und Bekannten geht die Meinung der Experten auseinander. Einerseits tragen sie kein direktes Risiko, andererseits "haben sie schon allerhand gehört, gelesen oder gesehen", sind aber nur in seltenen Fällen so informiert, dass sie eine echte Hilfe darstellen. Auf eine reine Verunsicherung aber können Patientin, Ehemann und der Arzt durchaus verzichten.

Deshalb gilt es vor allem für die betreuenden Ärzte, d. h. Hausarzt, Gynäkologen und Psychiater, sich gerade zu diesem Thema solide zu informieren. Denn es ist zwar primär das Gefühl der Fürsorge, letztlich aber mitunter fachliche Unsicherheit, die nicht immer zu durchdachten Empfehlungen führt. Dazu gehört vor allem der ja nicht bis zum Ende und auch nicht von allen beteiligten Experten mitgetragene Vorschlag, im Rahmen der Schwangerschaft die laufende medikamentöse Behandlung abzusetzen, manchmal auch "nur" umzustellen. Das Negativ-Ergebnis lässt dann oft nicht lange auf sich warten, nämlich eine psychische Dekompensierung, zumindest aber Destabilisierung. Und das ist gerade in dieser Situation ein bisweilen verheerender Verlauf der Erkrankung und ihren psychosozialen Folgen. Vor allem eines sollte man sich schon vor Augen halten: Beginnt man diese Diskussion vor der Schwangerschafts-Planung, dann hat man in der Regel genügend Zeit, alles abzuwägen - im Kreis der Experten: Die Sicherheit der einen oder anderen Seite, am besten aller Beteiligten und ihre möglichen Folgen. Wird man von der Schwangerschaft hingegen überrascht, dann wird diese in der Regel erst dann festgestellt, wenn die frühe Embryonal-Entwicklung und damit die ggf. heikle Entwicklungsphase mit oder ohne medikamentöse Einwirkung bereits abgeschlossen ist.

Die daraus folgende "Panik-Reaktion" lautet dann in der Regel: Sofort Absetzen des vermeintlich schädigenden Medikamentes - und damit aber auch die mögliche Provokation eines ernsten Rückfalls. Und dasjenige, dem dieser vermeintlich schonende, wenngleich für die mütterliche Gesundheit riskante Schritt gilt, das Kind, das ist bereits aus der bedeutsamen schutzwürdigen Entwicklungsphase heraus. Oder kurz: Entweder liegt der Schaden bereits vor oder nicht. Das nachträgliche Absetzen des bisher seelisch stabilisierenden Arzneimittels bringt also nichts, jedenfalls nichts Wesentliches für das Kind - gefährdet aber die Gesundheit der Mutter, und damit indirekt wieder das Ungeborene.

Nachfolgend deshalb eine Übersicht zu einigen relevanten Fragen. Sie basiert auf dem Erfahrungs-Hintergrund von zwei Experten, nämlich Frau Prof. Dr. med. Anke Rohde, Gynäkologische Psychosomatik der Universitäts-Frauenklinik Bonn sowie Dr. med. C. Schaefer, Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie, Berlin. Er bietet auch die leicht zugängliche Internet-Datenbank www.frauen-und-psychiatrie.de an, in der die aktuellen Informationen zum Einsatz von Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit online verfügbar sind. Hier finden sich auch Hinweise für neue Psychopharmaka, vor allem die so genannten atypischen Neuroleptika und modernen Antidepressiva (SSRI, SNRI, NaSSA, NARI). Und wer es "schwarz-auf-weiß" nach Hause tragen will, dem sei das kleine, aber inhalts-dichte Taschenbuch Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit - Möglichkeiten und Grenzen empfohlen, das die wichtigsten Informationen aus dem Internetportal kompakt zusammenfasst. Es ist allerdings ein Fachbuch für Ärzte und vom Verständnis her dem Laien nur schwer zugänglich. Es sei aber erlaubt, den betreuenden Arzt auf diese kurz gefasste und praxis-bezogene Hilfe aufmerksam zu machen, wenn er sie nicht schon kennt.

Anke Rohde, C. Schaefer:
PSYCHOPHARMAKOTHERAPIE IN SCHWANGERSCHAFT UND STILLZEIT
Möglichkeiten und Grenzen

Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2006. 71 S., € 19,95.
ISBN 3-13-134331-1

Nachfolgend nun die wichtigsten Fragen und Antworten, wie sie sich bei dem Problemkreis Kinderwunsch und psychische Störung ergeben:

  • Hat die Schwangerschaft Auswirkungen auf die psychische Erkrankung? Prinzipiell ändert eine Schwangerschaft - so die Erfahrung der Experten - nicht die Heilungsaussichten einer seelischen Erkrankung. Natürlich richten sich Verlauf und Ausgang nach der Art des Leidens. Es wird aber diskutiert, dass die Schwangerschaft bei nicht wenigen seelischen Störungen sogar eine eher "protektive" (Schutz-) Wirkung hat. Das ist zwar nicht bewiesen, doch im Alltag hört man immer wieder den Satz: "Während der Schwangerschaft ging es mir sogar besser". Auf jeden Fall gibt es durch die Schwangerschaft allein kein erhöhtes Erkrankungsrisiko im Vergleich zu anderen Phasen im Leben der Frau im Allgemeinen und der psychisch erkrankten im Speziellen.
  • Rückfall-Gefahr nach der Entbindung: Hier besteht allerdings ein erhöhtes Rezidiv-Risiko. Die Entbindung mit ihren vielfältigen seelischen und vor allem körperlichen Veränderungen ist ein einschneidendes Lebensereignis, alleine schon auf psychischer Ebene. Es gibt also auch einen indirekten, gleichsam psychosozialen Einfluss, den man berücksichtigen muss. Daneben ist die Entbindung ja auch der fast abrupte Abschluss einer hormon-intensiven Lebensphase, gleichsam ein "Hormon-Sturz", wenn man es plastisch ausdrücken will. Deshalb ist in diesem Zeitraum das Risiko eines Rückfalls deutlich höher als während der Schwangerschaft. Dies gilt vor allem für schizophrene Psychosen und affektive Störungen. Dabei haben bei letzteren die so genannten bipolaren affektiven Störungen, also depressive und manisch hochgestimmte Episoden ein deutlich größeres Rezidiv-Risiko als nur depressive Phasen. Wie hoch das Risiko im Einzelfall ist, lässt sich in etwa abschätzen; auf jeden Fall sollte man darauf gefasst sein, um medikamentös entsprechend reagieren zu können.
  • Die Auswirkungen der mütterlichen Erkrankung auf die Entwicklung des Kindes sind ebenfalls nicht wegzudiskutieren. Diese betreffen nicht nur die Schwangerschaft und Geburt, sondern auch die mittel- bis langfristige Entwicklung des Kindes. Hier gibt es eine Reihe von interessanten, aber auch nachdenklich machenden Untersuchungs-Ergebnissen (siehe auch die Besprechung des Buches: A. Lenz: Kinder psychisch kranker Eltern. Hogrefe-Verlag, 2005). Gerade in den frühen Lebensjahren ist eine Unterbrechung bzw. Störung der Mutter-Kind-Bindung von erheblicher Bedeutung. Dies gilt nicht zuletzt für die sogenannten postpartalen Depressionen nach der Geburt, also einer für beide Seiten wichtigen Phase des Lebens. Die möglichen Auswirkungen einer derartigen Erkrankung der Mutter müssen deshalb in die Nutzen-Risiko-Abwägung der medikamentösen Behandlung vor, während und nach der Schwangerschaft einfließen.
  • Ob für eine geplante Schwangerschaft das vorübergehende Absetzen des Psychopharmakons möglich und sinnvoll ist, muss individuell entschieden werden. Meist ist aber eine niedrig dosierte Behandlung mit einem einzelnen, bisher bewährten Psychopharmakon sinnvoller als das scheinbar sichere Absetzen des Medikamentes. Denn man muss - wie erwähnt - nicht nur das "Vorher" und "Während", sondern auch das "Danach" bedenken. Wenn also eine Mutter nach der Entbindung plötzlich ohne medikamentösen Schutz erkrankt, was ohnehin eine heikle Phase darstellt, dann muss man sich einmal die möglichen Konsequenzen vorstellen, die hier für das Kind drohen. Beispiele: Mangelernährung, verstärkter Nikotin- und/oder Alkoholkonsum, Schlafdefizit, die Folgen psychotischer Symptome wie Wahn und Sinnestäuschungen, erhöhte Selbsttötungs-Gefahr u.a. Daran denkt man in der Regel nicht - oder zu spät. Alles ist auf die "bösen Medikamente" fixiert. Doch was diese zu verhindern in der Lage sind, denn das Leben geht ja über Schwangerschaft und Entbindung hinaus, steht den wenigsten klar vor Augen, zumal es ja auch noch meist verheimlicht wird: Die Folgen beispielsweise von Depressionen, manischer Hochstimmung, schizophrener Psychose, Suchterkrankung u.a. nach der Geburt schädigen möglicherweise das Kind mehr als die niedrigst-mögliche Dosis der fortlaufenden Erhaltungstherapie unter der Schwangerschaft - und natürlich darüber hinaus.

Das gilt nicht nur für die geplante, das gilt vor allem für die ungewollte Schwangerschaft, wo ja in der Regel mehr "Kurzschluss-Reaktionen" zu erwarten sind, zumindest mit einer erhöhten Belastung allseits zu rechnen ist. Auch bei einer ungewollten Schwangerschaft kann man natürlich die Notwendigkeit des Absetzens prüfen. Doch hier, wie bei der geplanten, gilt: Ein abruptes und zu schnelles Absetzen kann unter Umständen mehr schaden als nutzen, besonders wenn die Schwangerschaft erst gegen Ende des ersten Trimenons (also der ersten drei Monate) festgestellt wird und damit die Organo-Genese bereits abgeschlossen ist (also die Organentwicklung von der Befruchtung des Eies bis zur Ausbildung der Organanlagen, beim Menschen bis zum 16. Tag nach der Konzeption). Angestrebt werden sollte auch hier auf jeden Fall eine so genannte Monotherapie, d. h. die medikamentöse Behandlung mit einem Arzneimittel allein - sofern möglich.

Sollten sich aber doch noch konkrete Fragen ergeben, nämlich zum Risiko von Teratogenität (also der Gefahr von Fehlbildungen durch bestimmte Schädigungs-Faktoren) und Fetotoxizität (Gefahr der Frucht-Schädigung im Mutterleib durch die gleichen Belastungen) helfen entsprechende Beratungs-Stellen weiter, die sich vor allem konkret mit dem Einzelfall beschäftigen und nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse auch die fundiertesten Empfehlungen abgeben können. Hier spielen natürlich auch die individuellen Wünsche der Eltern eine große Rolle, wobei die Entscheidungen durchaus unterschiedlich auszufallen pflegen, trotz gleichbleibender Ausgangslage. Manche Eltern wollen auch das geringste Risiko für ihr Kind ausschließen und entscheiden sich zum Absetzen der Medikation vor der Konzeption. Andere Frauen oder auch ihr Partner haben soviel Angst vor einem Krankheits-Rückfall, dass sie sich zur Weiterführung der Behandlung auch in der Schwangerschaft entschließen. Das alles bedarf also der gründlichen Abwägung auf der Basis persönlicher Erfahrung, der jeweiligen Befürchtungen und der gemeinsamen Schlussfolgerungen - und sollte deshalb in Ruhe und mit einem Experten besprochen werden.

  • Probleme bei einer ungeplanten Schwangerschaft sind gerade für eine psychisch kranke Frau von besonderer Bedeutung. Am riskantesten sind dabei plötzliche und unüberlegte Entscheidungen der betroffenen Patientinnen - so oder so. Leider stecken solche "Panikreaktionen" nicht nur Kindsvater, die Angehörigen und Freunde, bisweilen auch die behandelnden Ärzte an. Dabei muss in diesem Fall noch einmal in aller Deutlichkeit wiederholt werden:

Zu dem Zeitpunkt, wo üblicherweise eine ungeplante Schwangerschaft festgestellt wird, d. h. in der 7., 8., 9. oder gar noch späteren Schwangerschaftswoche, sind die wesentlichen Entwicklungsschritte in der embryonalen (Frucht-) Entwicklung bereits abgeschlossen. Durch das plötzliche Absetzen wird also der Einfluss der Medikamente auf die Organentwicklung des Kindes nicht mehr verhindert. Dafür droht aber mit hoher Wahrscheinlichkeit der seelische Zustand der Patientin noch labiler zu werden - jetzt rein äußerlich durch die neue Situation und darüber hinaus biologisch durch den Wegfall des bisher stabilisierenden Arzneimittels. Und dies, obgleich in der Regel die meisten antipsychotisch wirkenden Neuroleptika und stimmungsaufhellenden Antidepressiva keinerlei Hinweise auf spezifische teratogene (frucht-schädigende) Auswirkungen haben.

Das möglicherweise bestehende Risiko der Teratogenität eines Arzneimittels ist also keine Indikation (Heilanzeige) zum Schwangerschaftsabbruch, solange sich keine konkreten Hinweise auf Fehlbildungen ergeben, betonen die Experten.

Davon unberührt bleibt allerdings eine andere Frage, nämlich eine möglicherweise bestehende soziale Indikation für eine Interruptio (Schwangerschaftsabbruch) wegen der zu erwartenden schweren psychischen Dekompensation oder einer Verschlechterung des Leidens-Verlaufs bei seelischer Erkrankung. Man muss also unterscheiden zwischen rein medikamentösen und rein psychosozialen Aspekten.

  • Die Betreuung in der Schwangerschaft sollte also gerade bei psychisch kranken Patientinnen besonders gut funktionieren, und zwar in Kooperation zwischen Psychiater und Gynäkologe. Natürlich gibt es Hinweise darauf, dass beispielsweise psychotische Patientinnen (mit einer Schizophrenie oder schizo-affektiven Erkrankung, d. h. schizophrenen, depressiven und/oder manischen Symptomen) eine höhere Rate von Fehlgeburten, Totgeburten, Frühgeburten und Wachstums-Retardierungen(-Verzögerungen) aufweisen. Ob das wirklich mit dem Krankheitsbild alleine zusammen hängt, ist umstritten. Nicht wenige dieser Patientinnen und leider auch bisweilen ihr Umfeld zeigen nämlich eine etwas sorglosere Art, die notwendigen Vorsorgemaßnahmen zu nutzen. Außerdem neigen überdurchschnittlich viele auch zu vermehrtem Nikotin-, gelegentlich auch Alkoholkonsum, selbst in der Schwangerschaft. Das alles kann selbstredend zu einem Ergebnis beitragen, das auf den ersten und zudem unzutreffenden ("ungerechten") Blick hin den bisher hilfreichen Medikamenten angelastet wird, die ohnehin als beeinträchtigend, ja stigmatisierend empfunden werden, weshalb jeder Grund zum Abbruch bewusst oder unbewusst willkommen ist. Die persönlichen Defizite (s. o.) sind ja auch den wenigsten bekannt. Die Medikamente hingegeben werden als erstes zu "Prügelknaben" gemacht, wobei der Beipackzettel ungewollt seine negative Schützenhilfe leistet ("Beipackzettelkrankheit.")

Außerdem gibt es heute die Möglichkeit, sich bereits in der 13. oder 14. Schwangerschaftswoche zu informieren, ob ernsthafte Organfehlbildungen festzustellen sind. Mit den heutigen hoch-technisierten Verfahren können deshalb auch frühzeitig teratogene (frucht-schädigende) Auswirkungen der Medikation frühestmöglich diagnostiziert werden. Auch nach der 12. Schwangerschaftswoche besteht ja nach § 218 StGB die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch, wenn für die Mutter auf Grund der zu erwartenden Behinderung bzw. Erkrankung des Kindes Gesundheitsschäden zu befürchten sind (wie etwa eine schwere seelische Dekompensation).

  • Für die Betreuung um die Geburt herum empfiehlt sich in solchen Fällen schließlich eine Frauenklinik mit angeschlossener Intensiv-Neonatologie (Spezialabteilung für die Behandlung von Frühgeborenen und Neugeborenen mit entsprechenden Störungen). Wenn sich dann beim Kind bestimmte Beschwerden erkennen lassen (z. B. Entzugssymptome, denn der kindliche Blutkreislauf ist ja an den mütterlichen angeschlossen und hat deshalb auch die Medikamente der Mutter mitbekommen) ist jederzeit eine intensive Überwachung möglich, und zwar im gleichen Haus und damit ohne Trennung von Mutter und Kind.

Und was die Mutter anbelangt, so ist hier ja - wie erwähnt - das höchste Rückfall-Risiko zu registrieren. D. h. alle sollten gut darauf vorbereitet sein und ggf. mit sofortiger Dosiserhöhung und eventueller Zugabe entsprechender (und bereits schon vorher bewährter?) Medikamente einschreiten. Wichtig ist auch die Aufklärung und gemeinsame Besprechung mit Patientin und Angehörigen bezüglich eventueller "Warnsignale", die dann sofort einen "Notfallplan" auslösen. Man darf nicht vergessen: Solche Situationen sind nicht selten und kein Anlass zur Aufregung, man muss sie nur im Auge behalten, im gegebenen Fall registrieren und sofort darauf reagieren. Das ist Routine, aber das "Daran-Denken" ist abhängig vom Informationsstand, der dann auch die rechtzeitige und richtige Reaktion erleichtert.

  • Stillen unter Arzneimitteln ist eine Frage, die ebenfalls im Einzelfall zu klären ist. Auch Frauen mit einer seelischen Erkrankung sollten in der Regel stillen. Man denke nur an den Schutzeffekt der Muttermilch und die persönliche Erfahrung des Stillens, also eine positive Entwicklung für alle Beteiligten. Bei einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung ist also das Stillen unter der Behandlung mit Antidepressiva und Neuroleptika nicht grundsätzlich abzulehnen. In Einzelfällen kann man sich hier mit entsprechenden Beratungs-Zentren abstimmen.
  • Die Zeit nach der Geburt ist auch für gesunde Mütter nicht ohne Belastung bzw. Risiko. Dies gilt umso mehr für psychisch erkrankte Frauen. Hilfreich wäre hier beispielsweise die verlängerte Hausbetreuung durch eine Hebamme, die Unterstützung durch eine Haushaltshilfe (beide Maßnahmen werden nach entsprechender Verordnung von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt), die Beratung von Vater und weiteren Angehörigen und ggf. der regelmäßige Kontakt mit den schon früher beteiligten Fachärzten, nämlich Gynäkologe und Psychiater. Außerdem gilt es auch die "normalen" Entwicklungen in Rechnung zu stellen, also die "physiologische Heul-Phase" nach der Geburt, die nichts Krankhaftes ist und deshalb auch nicht zu einer angst-besetzten Besorgnis ausufern sollte.

Schlussfolgerung für den Arzt

Hier wie überall gilt die alte Regel: Sich informieren, sich auf dem neuesten Stand halten, in der Handbibliothek griffbereit ein entsprechendes Buch mit tabellarischer Übersicht bereithalten, das in der erwünschten Kürze und doch gebotenen Ausführlichkeit die wichtigsten Hinweise vermittelt. Notfalls bzw. schon zuvor der Kontakt mit der entsprechenden Internet-Datenbank (s. o.). Auf dieser Grundlage wird sich etwas entwickeln, was in der Hektik des modernen Alltags von Klinik und Praxis zunehmend unterzugehen droht: Ruhe, Gelassenheit, Zuhören, Zuwendung, Vertrauen. Wie schon diese kurzen Ausführungen zeigen, sind es die alten Tugenden des Arztes und die Pluspunkte des positiven Patient-Arzt-Verhältnisses, die über mehr entscheiden, als die nackte Statistik einschließlich medien-geleiteter Furcht- und Panikreaktionen und mitunter auch werbe-geleiteterer Aussagen.

Dazu trägt beispielsweise das kleine Büchlein über Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit bei. Man sollte es als Arzt in seiner Nähe wissen.

LITERATUR

Ausführlich in englischer und deutscher Sprache, u. a. in dem zitierten Fachbuch

Rohde, A. C. Schaefer: Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2006

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).