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PSYCHIATRISCHE ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

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Public Relations (PR) – Was empfiehlt der Journalist dem Psychiater?

Darf eine Gesundheits-Institution, beispielsweise ein Krankenhaus werbend auf sich aufmerksam machen? Das war früher undenkbar: Werbung oder gar Reklame sind mit den Aufgaben, der Position und dem Ansehen einer solchen Einrichtung (ethisch) nicht vereinbar. Da hat sich zwar vieles geändert, aber ein ungutes Gefühl bleibt, und zwar nicht nur für Patienten und Angehörige, auch für die Klinik-Betreiber, insbesondere das medizinische Personal selber. Etwas anderes ist offenbar die Öffentlichkeitsarbeit. Denn ihre Aufgabe ist im Rahmen geeigneter PR-Maßnahmen die Aufklärung über Häufigkeit, Ursachen, Behandlungsmöglichkeiten und vor allem Vorbeugung von Krankheiten aller Art. Hier wird sogar die Psychiatrie miteinbezogen, obgleich sie ansonsten mit mehr Vorurteilen, Einschränkungen und damit psychosozialen Belastungen zu ringen hat.

Nachfolgend deshalb ein Beitrag zum Thema: Wem nützt psychiatrische Öffentlichkeitsarbeit? Welche konkreten Möglichkeiten gibt es? Welche Hilfestellung können die Massenmedien bieten und vor allem: Was empfiehlt der Journalist dem Psychiater im Interesse von Psychiatrie und seelisch Kranken?



Erwähnte Fachbegriffe:

Öffentlichkeitsarbeit – Public Relations (PR) – Reklame – Werburg – Propaganda – Promotion – Advertising – Verkaufsförderung – Kundenwerbung – Bedarfslenkung – Bedarfsweckung – psychiatrische Öffentlichkeitsarbeit – psychische Störungen heute – Psychiatrie-Enquête – Prävention – Multiplikatoren (Mund-zu-Mund-Propaganda) – Kompetenznetze in der Psychiatrie – psychiatrisches Informationsbedürfnis – „Bringschuld der Psychiater“ – Therapiewilligkeit – Misstrauen und Skepsis gegenüber der Psychiatrie – gesunde Lebensweise – Selbstkritik – positive Einstellung zum eigenen Schicksal bzw. Leiden – Therapietreue – Einnahmezuverlässigkeit von Medikamenten – Nachbetreuungsmöglichkeiten – psychosoziale Belastbarkeit – Angehörigen-Belastung – psychiatrische Vorträge und Seminare – Zielgruppen für psychiatrische Aufklärungen und Öffentlichkeitsarbeit: Volkshochschule, Betriebe, Schulen, Kurkliniken, Polizei, Feuerwehr, Zivilschutz u. a. – PR-Arbeit in psychiatrischen Krankenhäusern: Klinikparks, Klinikeinrichtungen, Erholungsangebote, Kinderspielplatz, Streichelzoo, Cafeteria, Festsäle, Hörsäle, Seminarräume, Klinikkapelle, Klinikschwimmbad, Verkaufsstände der Beschäftigungstherapie, Klinikladen, Klinikführungen, Klinikfeste, plakative Aufklärungsversuche, Schulungskurse für interessierte Laien einschließlich Schulen, Vereine, Clubs, Hilfsgemeinschaften – Lehrer-Fortbildung, interdisziplinäre Tagungen für Werkärzte, Juristen, Behördenleiter, Betriebspsychologen, Pädagogen – psychiatrische Hilfe für Polizei, Feuerwehr, Zivilschutz u. a. bei Katastropheneinsätzen, schweren Unfällen, Panikreaktionen, Geißelnahme, Amoklauf, sonstigen Aggressionsdelikten, (erweiterten) Suizidversuchen u. a. – Öffentlichkeitsarbeit durch Massen-Medien: Informationspflicht, Mut zur klaren Aussage, ständige Kontakte, Besuchs-Empfehlungen, keine „Hofberichterstattung“, dafür positive Alltagserlebnisse, keine Fachsprache, Alltagsszenen, keine standespolitischen Streitgespräche, Redakteurs-Kompromisse akzeptieren u. a. m.

Die Funken sprühten, so erinnern sich alte Psychiater, wenn sie auf die konfliktreichen, in der Wortwahl z. T. heftigen und vor allem in der gegenseitigen Schuldzuweisung unnachgiebigen Diskussionen zu sprechen kommen, die früher zwischen den Journalisten und Nervenärzten ausgetragen wurden. Und dies, obgleich sich ohnehin nur die in diesem Punkt engagierten und vor allem kompromissbereiten Vertreter ihres Faches trafen.

Das Problem: Beide Seiten waren nicht nur emotions-geladen, sondern auch in vielen Punkten im Recht, jedenfalls aus ihrer Sicht. Und diejenigen, um die es letztlich ging, saßen ohnehin nicht am „Verhandlungs-Tisch“, waren nur die Opfer einer zur damaligen Zeit unseligen und scheinbar nicht lösbaren Stereotypisierungs- oder gar Diskriminierungs-Falle: die psychisch Kranken.

Im Übrigen konnte man ja noch froh sein, dass sich die engagierten Journalisten und Psychiater überhaupt einmal zusammensetzten, denn zuvor war das kein Thema, für beide Seiten nicht (und zwar überall, in allen Nationen; Deutschland gehörte hier sogar noch zu den Vorreitern einer gemeinsamen Strategie).

Heute hat sich so manches geregelt, zumindest beruhigt. Ob sich die Stigmatisierungs- oder gar Diskriminierungs-Gefahr reduzieren ließ, wird kontrovers beurteilt. Doch selbst die größten Pessimisten müssen zugeben, dass sich hier schon etwas getan hat, sofern sie sich in das historische psychosoziale Defizit früherer Jahrzehnte zu versetzen suchen und den heutigen Zustand damit vergleichen. Aber natürlich bleiben noch viele Fragen offen, viele Aufgaben ungelöst, ja, so manche Hoffnung enttäuscht, besonders für die Betroffenen und ihre Angehörigen.

Das betrifft vor allem einige spezifische seelische Krankheitsbilder wie Schizophrenie, Suchtkrankheit, Demenz u. a. Andere Leiden konnten sich dafür etwas günstiger positionieren wie Depressionen („Volkskrankheit Nr. 1“), Angststörungen (die gerade im Begriffe sind, die Volkskrankheit Nr. 1 zahlenmäßig zu überholen) und bestimmte klassifikatorisch zwar noch nicht anerkannte, dafür aber häufige und gesellschafts-typische psychosoziale Folgen wie das Burnout-Syndrom (erschöpft – verbittert – ausgebrannt).

Zu diesem Einstellungs-Wandel verhilft vor allem dreierlei: Zum einen die erwähnte Zunahme seelischer Störungen generell, so dass es fast niemand mehr gibt, der nicht zumindest in seinem engeren Umfeld damit konfrontiert ist. Zum anderen die erwähnten zeit- und gesellschafts-typischen Leiden wie die frühere Erschöpfungsdepression und das heutige Burnout-Syndrom, die ja ohnehin die Tüchtigsten heimsuchen sollen. Und ein dritter Aspekt, der noch nicht so ganz Allgemeingut geworden ist, nämlich die Bedeutung der Prophylaxe, der Prävention, der Vorbeugung, nicht zuletzt durch Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit – auch und gerade in der Psychiatrie.

Deshalb ist es sinnvoll, sich zu diesem Punkt einmal kurz zu informieren: Zum einen was war, zum anderen was derzeit vorherrscht und drittens was in Zukunft nötig wäre. Denn die Zeit drängt und die Zahl der Betroffenen gibt zu ernsten Sorgen Anlass. Dafür entwickelt sich zunehmend ein gewisser Informations- und vor allem Handlungs-Druck. Denn wenn so viele Menschen unter uns (und nicht irgendwo!) betroffen sein sollen, dann kann man sich ausrechnen, wann man selber ein ureigenes Interesse an der Lösung dieses Problems entwickeln muss. Psychische Störungen sind kein verschämtes Thema mehr, sie zwingen inzwischen zu neuen, konstruktiven und vor allem von der gesamten Gesellschaft getragenen Lösungs-Strategien.

Eine davon, und nicht die geringste, ist das weite Feld der erwähnten psychiatrischen Öffentlichkeitsarbeit. Nachfolgend deshalb das entsprechende Kapitel aus einem Sammelband über Medizinische Prävention und Gesundheitsförderung.

Jochen Haisch, Klaus Hurrelmann, Theodor Klotz (Hrsg.):
MEDIZINISCHE PRÄVENTION UND GESUNDHEITSFÖRDERUNG

Verlag Hans Huber, Bern 2006. 276 S., € 29,95
ISBN: 3-456-84342-9

„Prävention und Gesundheitsförderung“ ist seit einiger Zeit als so genanntes Querschnittsfach in das Medizinstudium verbindlich integriert. Das ist nicht einfach. Es beginnt schon beim Widerstand der Medizin-Studenten, die sich durch einen in der Tat ohnehin überfrachteten Lehrplan noch mehr belastet sehen (könnten). Und dies noch in einer „neuen“ Disziplin bzw. in einem gar interdisziplinären Fach, das nicht nur arbeits-intensiv, sondern teilweise auch „medizin-fremd“, wenn nicht gar „unärztlich“ anmutet.

Inzwischen aber ist das neue Fach Prävention und Gesundheitsförderung in die ersten Medizin-Semester der Deutschen Universitäten eingebunden und stößt mehr und mehr auf positive Resonanz. Später werden es die einstmals kritischen Studenten begrüßen, weil sie im Alltag von Klinik und Praxis, ja sogar Forschung und Lehre täglich zu spüren bekommen, dass die „beste Behandlung eine erfolgreiche Prävention ist“. Wenn es gelingt, eine Leidens-Entwicklung zu verhindern, ist das aus ärztlicher Sicht vielleicht nicht gerade „wirtschaftlich, d. h. letztlich existentiell sinnvoll“ (denn es bleiben ja die Klienten, die Patienten weg). Aber es gehört nun einmal zur vornehmsten Aufgabe des Mediziners, alles dafür zu tun, nämlich ein – häufig arglos, wenn nicht selbstverschuldet ausgelöstes – Krankheits-Schicksal zu verhindern bzw. rechtzeitig, d. h. schon im Vorfeld abzumildern.

Und weil dieses Thema erst jetzt langsam zu greifen beginnt, ist dieser empfehlenswerte Sammelband nicht nur für Medizin-Studenten sinnvoll, sondern auch für bereits länger im Alltag von Klinik und Praxis tätigen Ärzte. Sie werden sich vermutlich am ehesten ihrem eigenen Fach zuwenden, was sich bei diesem (fast) vollständigen Fach-Angebot auch problemlos realisieren lässt: Allgemeinmedizin, Kardiologie, Endokrinologie, Infektiologie, Onkologie, Chirurgie, Urologie, Anthropologie, Frauenheilkunde, HNO-Heilkunde, Augenheilkunde, Dermatologie, Neurologie, ja Humangenetik, Zahnmedizin, Naturheilkunde und nicht zuletzt ein ausführlicher Schwerpunkt in den psychosozial-medizinischen Kernfächern Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Geriatrie, Medizinischen Psychologie u. a.

Daraus entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung von Autor, Herausgebern und Verlag das kurz gefasste Kapitel über Psychiatrische Öffentlichkeitsarbeit von Professor Dr. Volker Faust vom Zentrum für Psychiatrie Die Weissenau, Abteilung Psychiatrie I der Universität Ulm in Ravensburg.

Erfolgreiche Vorbeugung durch psychiatrische Öffentlichkeitsarbeit

Was verhindert werden kann, muss nicht behandelt werden. Das leuchtet ein, vor allem in einer medizinischen Disziplin, in der das Umfeld, also psychosoziale Aspekte, eine bedeutende ursächliche, zumindest aber auslösende Funktion entwickeln können. Doch auch bei jenen psychischen Krankheitsbildern, denen eine genetische Schicksalhaftigkeit anhaftet, ist das frühzeitige Erkennen, Akzeptieren (siehe später), schon im Vorfeld gezielte Behandeln und damit zumindest weitgehende Verhüten (von der Rückfallgefahr oder drohenden Chronizität ganz zu schweigen) nicht zu unterschätzen.

Die beste Therapie ist eine erfolgreiche Prävention

Wie aber lässt sich eine rechtzeitige Vorbeugung in unserer Zeit und Gesellschaft verankern? Ist nicht gerade die Vielschichtigkeit seelischen Leidens ein unüberwindbarer Graben für die notwendige Fach-Information (allgemein verständlich aufbereitet) und den damit erhofften rettenden Kenntnisstand? Die ernüchternde Antwort lautet: ja. Aber der Nachsatz sollte jede lähmende Resignation mildern: Der kleinste, aber unbeirrbare Anfang zeitigt gerade in diesem scheinbar so unübersichtlichen Bereich mitunter erstaunliche Ergebnisse. Das Stichwort lautet: Multiplikatoren, oder schlicht ausgedrückt: Der Eine sagt es dem anderen. Bekanntlich ist die Mund-zu-Mund-Propaganda auch im nicht-medizinischen Bereich die wirkungsvollste Werbung, gegen die letztlich keine noch so aufwendige Reklame ankommt.

Außerdem geht es gerade in dem erwähnten komplexen seelischen (Erkrankungs-) Bereich gar nicht um fachlich zutreffende oder alle Aspekte berücksichtigende und jegliche Möglichkeiten und Grenzen abwägende Informationen. Es geht lediglich um das „Daran-Denken" - und damit den entscheidenden Anstoß, Hilfe zu suchen, zu akzeptieren, nützlich umzusetzen – und hoffentlich als neuer Multiplikator des erworbenen Wissens („gelebtes Leben") verfügbar zu sein. Erfreuliche Fortschritte sind beispielsweise nachzulesen in den newsletter-Ausgaben (Kompetenznetz Schizophrenie – ein Netz für den Menschen) mit den berichteten Erfolgen über die Wirksamkeit der derzeitigen Anti-Stigma-Arbeit (z. B. newsletter 14/2005) sowie in der ZI-Information aktuell 2005.

Psychiatrisches Wissen so breitflächig und früh wie möglich durch Öffentlichkeitsarbeit

Das Entscheidende ist also eine gezielte, kontinuierliche (und damit auch frustrationstolerante) Öffentlichkeitsarbeit Sie ist eine der wichtigsten Säulen psychiatrischer Prävention. Diese Erkenntnis ist nebenbei nicht nur von den Experten, also den Psychiatern, Nervenärzten und klinischen Psychologen, sondern auch von der Allgemeinheit und sogar von den Betroffenen selber anerkannt (Faust 1981; Faust und Hole 1993). An dieser Erkenntnis hat sich bis heute nichts geändert.

Öffentlichkeitsarbeit

  • Unter Öffentlichkeit versteht man die Gesamtheit der Menschen außerhalb ihres privaten Bereichs; Synonyme sind Allgemeinheit, „die Leute", das (breite) Publikum u. a.
  • Öffentlichkeitsarbeit ist ein inzwischen „älter" gewordener Fachbegriff, für manche fast obsolet und in der Allgemeinheit (und Wissenschaft?) auch bedeutungsgleich, zumindest aber bedeutungsähnlich mit Public Relations (PR – Wissenschaft und Praxis der Gesunderhaltung der Bevölkerung).
  • PR dominiert die terminologische Bühne. Das Wort entstammt der Weltsprache Englisch, wirkt eleganter, vornehmer, umfassender. Darin liegt aber auch das Problem dieser Verallgemeinerung. Denn Öffentlichkeitsarbeit hat fast schon einen banalen Charakter, vor allem, wenn man sich die Synonyme in Erinnerung ruft: Reklame, Werbung, Propaganda, Anpreisung, Promotion, Advertising, Verkaufsförderung, Kundenwerbung, Bedarfslenkung, Bedarfsweckung, aber auch die „wertneutrale" Aufklärung.
  • Psychiatrische Öffentlichkeitsarbeit ist also im Rahmen geeigneter PR-Maßnahmen die Aufklärung über psychisch Kranke und die Psychiatrie mit ihren diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten einschließlich deren Fachvertreter auf verschiedenen Ebenen; und dies alles in unserer Zeit und Gesellschaft (denn das ist gerade für die Psychiatrie ein bedeutsamer Faktor).

Wem nützt nun aber psychiatrische Öffentlichkeitsarbeit konkret? Etwa nur den Patienten? Mitnichten.

Wem psychiatrische Öffentlichkeitsarbeit nützt

1.Vor allem nützt sie den Patienten: vergrößertes Informationsbedürfnis (das gezielt angeregt werden muss: wer informiert sich schon gerne über Negatives, Belastendes, besonders wenn es einen selber betrifft); kritisch-konstruktive Einstellung gegenüber den Therapeuten (Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Ergo- und Physiotherapeuten, Pflegepersonal); Zurückhaltung gegenüber schädlichen Gewohnheiten (z. B. Genussmittel, vor allem Nikotin und Alkohol, die sehr häufig als erstmalige Trost- und Selbstbehandlungs-Maßnahmen empfohlen und eingesetzt werden); größere Therapiewilligkeit generell; Abbau von Misstrauen und Skepsis; gesündere Lebensweise (s. o.), erhöhte Selbstkritik, positivere Einstellung zum eigenen Schicksal bzw. Leiden; regelmäßigere Einnahme verordneter Medikamente; lückenlosere Nachbetreuungsmöglichkeiten (bzw. -Willigkeit); verstärkte psychosoziale Belastbarkeit u. a. (in abnehmender Reihenfolge).

2.Den Angehörigen: „Patienten haben auch Angehörige", lautet ein meist unbeachteter Kernsatz, der vor allem bei seelisch Kranken wichtig ist. Das beginnt bei Kindern psychisch kranker Eltern und hört noch lange nicht auf bei weiteren Verwandten, ja sogar Freunden und Bekannten (die sich zwar ihrer Verantwortung bewusst sind, in manchen Therapeuten-Kreisen aber leider noch immer mitunter ins Leere laufen). Hier fördert eine gezielte psychiatrische Öffentlichkeitsarbeit vermehrtes Informationsbedürfnis und damit besseren Informationsstand, das Erkennen einer möglichen eigenen Beteiligung am Leiden des Patienten, insbesondere was dessen Auslösung oder Unterhaltung anbelangt, eine aktivere Mithilfe am Heilungsprozess, mehr Nachsicht und Geduld sowie intensivere und konsequentere Hilfestellung.

3.Der Allgemeinheit: Im Wesentlichen die gleichen Möglichkeiten, wie sie für die Angehörigen gelten. Besonders bedeutsam aber ist die gesundheitserzieherische Komponente: Vermeiden lässt sich nur, was man kennt.

Konkrete Möglichkeiten psychiatrischer Öffentlichkeitsarbeit

Psychiatrische Öffentlichkeitsarbeit kann man im Wesentlichen in zwei große Bereiche unterteilen: 1. allgemein und 2. mit Unterstützung der Massen-Medien.

Zu der allgemeinen psychiatrischen Öffentlichkeitsarbeit gehören beispielsweise öffentliche Vorträge und Seminare in Volkshochschulen, Betrieben, Schulen, Kurkliniken sowie vor den schon erwähnten Multiplikatoren, diesmal im engeren Sinne, also Lehrern, Meistern, Abteilungsleitern, Betriebsräten usw. Nicht zu vergessen sind Polizei, Feuerwehr und Zivilschutz, die immer häufiger entsprechenden Situationen ausgesetzt sind, für die sie aus psychologischer Sicht nicht oder nur unzureichend ausgebildet werden (z. B. Suizidversuche, technische und Naturkatastrophen, schwere (Massen-)Unfälle, Geiselnahme, Amok). Wie kann das im Einzelnen aussehen?

  • PR-Arbeit in psychiatrischen Krankenhäusern wirkt auf den ersten Blick nicht sehr imponierend. Man sollte sich jedoch nicht täuschen, was folgende Maßnahmen auf Dauer(!) anzubahnen vermögen:

    - Klinikparks und bestimmte Klinikeinrichtungen für die Allgemeinheit öffnen, d.h. Erholungsangebote (trotz bisweilen bettelnder Langzeitpatienten, daran kann man sich laut Besucher gewöhnen), konkret: Spielplatz für Kinder. Streichelzoo, Cafeteria, Festsäle, Hörsäle und Seminarräume, Klinikkapelle, Klinikschwimmbad u. a.; ferner ständige Verkaufstände der Beschäftigungstherapie oder eigener Klinikladen in den Stadtzentren usw. - Regelmäßige Klinikführungen und Klinikfeste mit offiziellen Einladungen. Gegebenenfalls (historische) Klinikräume für nicht hauseigene Seminare, Vorträge, Kurse, Festakte, Konzerte u. a. öffnen.
    - Plakative Aufklärungsversuche in öffentlichen Gebäuden, Schulen, Sparkassenräumen, Kaufhäusern (die dortigen Abteilungsleiter, Personalchefs oder Geschäftsführungen gewinnen).
    - Aufklärungsarbeit durch Schulungskurse (die besten Erfolge bei der jungen Generation, ab der mittleren heißt es „leider keine Zeit" und im höheren Lebensalter greifen die alten Vorurteile und Aversionen).
  • Schulen: wichtigste Zielgruppe, da Kinder 1. besonders gefährdet (Suchtprobleme) und 2. die Erwachsenen von morgen. Interesse geht in der Regel von Schulleitung, Elternbeirat oder Schülermitverantwortung (SMV) aus, meist nach entsprechenden Ereignissen (s. u.). Ideal in kleinen Gruppen, häufig jedoch mehrere Klassen zusammen, was einiges Geschick und Routine erfordert. Vortrag muss einfach, plastisch, reich an einprägsamen Beispielen sein. Nicht nur ältere Schüler heranziehen. Auch die psychiatrische Präventivarbeit muss relativ früh, nämlich zwischen 9 und 12 Jahren einsetzen. Ausgiebige Zeit zur Diskussion lassen, zu Fragen ermuntern, ggf. einzeln ansprechen. Man achte auf weniger dominierende Kinder und biete außerhalb des Vertrags – telefonisch oder mündlich, auf jeden Fall auch anonym – Rückfragegelegenheiten an. Wenn sich Patienten bereit erklären, über ihre eigene Krankheit und damit das eigene Schicksal zu sprechen, ist der Erfolg am größten (Selbsthilfegruppen anfragen).
  • Volkshochschule: regelmäßige Themenangebote, ggf. aktualisiert nach entsprechenden Ereignissen, über die in den Medien berichtet wurde. Hörer sind meist (ehemalige) Patienten und/oder deren Angehörige. Gleiche Regeln wie oben.
  • Betriebe: meist vom Betriebsrat ausgehend, oft nach spektakulären Ereignissen (Unfall, Suizidversuch, Geiselnahme, aber auch Rauschdrogen- oder Alkoholintoxikation u. a.). Belegschaft in der Regel desinteressiert, Betriebsräte, Behindertenvertreter, Meister, Abteilungsleiter u. a. gute Multiplikatoren. Regeln: s. o.
  • Vereine, Clubs: Interesse sehr unterschiedlich, hängt von einzelnen Initiatoren ab (Betroffene, Mitbetroffene aus Familie, Arbeitsplatz, Nachbarschaft, Freundeskreis). Mitunter bilden sich jedoch interessante Hilfsgemeinschaften, deren Mitarbeit von großem Nutzen sein kann (z.B. Anwerbung von Laienhelfern).
  • Kurkliniken: Zunehmend mit eigenem psychologischem Personal, in der Regel jedoch keine Psychiater (es sei denn psychiatrische Fachkliniken mit psychosomatischem Schwerpunkt). Die Patienten sind nur zum kleinen Teil interessiert, dann aber oft sehr hoch motiviert (viel Zeit!). Referate regelmäßig wiederholen, da Belegung alle 4 bis 6 Wochen wechselt.
  • Interdisziplinäre Tagungen: Werksärzte, Juristen, Behördenleiter, Betriebspsychologen, Pädagogen u. a. Sich durch akademisches Publikum nicht täuschen lassen; auch hier gilt: so einfach, einprägsam und beispielreich wie möglich; viel Zeit zur Diskussion lassen.
  • Lehrer- Fortbildung: Was der Lehrer nicht weiß, kann der Schüler nicht erfahren. Zusammenarbeit mit Oberschulamt oder Direktionen suchen. Seitens der meisten Lehrer nur begrenztes Interesse. Anwesende Pädagogen jedoch sehr wertvolle Multiplikatoren.
  • Polizei, Feuerwehr, Zivilschutz u. a.: Kontakt mit den Leitern, Kommandanten und übergeordneten Dienststellen suchen: regel-mäßige(!) Fortbildungsstunden vereinbaren (hängt sehr von Interesse, Motivation und Mitarbeit der Führungskader ab; wenn diese wechseln, kann die gesamte Vorarbeit zusammenfallen). Große praktische Erfahrung der Zuhörer (auch sehr anregend für den Referenten!). Themen: Katastropheneinsätze, schwere Unfälle, Panikreaktionen, Geiselnahme, Amoklauf, weitere Aggressionsdelikte, (erweiterte) Suizidversuche u. a.

Öffentlichkeitsarbeit mithilfe der Massenmedien

Die Journalisten, Politiker und sonstigen Vertreter öffentlicher Einrichtungen sprechen von einer „Bringschuld der Ärzteschaft", die Ärzte von einer „Holschuld der Öffentlichkeit", insbesondere der Medien. Beide haben Recht. Leider gibt es unüberbrückbare Gegensätze, noch immer. Der Grund ist einfach: Es gibt auf beiden Seiten in der Regel nur engagierte Einzelkämpfer oder kleine Gruppen. Wenn deren aktive Zeit vorbei ist, kann alles wieder zu Ende sein.

Die beiden „Verpflichtungspole", aus denen sich eine effektive Öffentlichkeitsarbeit zusammensetzt, sind und bleiben die Experten, nämlich die Psychiater und ihre assoziierten Berufsgruppen auf der einen sowie die Journalisten von Printmedien, Funk, Fernsehen und Film auf der anderen Seite.

Dabei gilt es einen zwar banalen, in Wirklichkeit aber brisanten Aspekt zu berücksichtigen, nämlich den respektvollen und damit auch ergiebigen Umgang untereinander. Das hört sich zwar selbstverständlich an, aber hier gibt es eine negative Tradition. Zwar mag sich inzwischen manches entspannt haben, geblieben sind aber nach wie vor erhebliche Vorbehalte, leider auch bittere Erfahrungen: „Wer mit den Massenmedien entstigmatisieren will, kämpft nicht nur gegen den Zeitgeist. Er kämpft gegen Windmühlen" (Finzen, zit. nach ZI-Information 2/2005: 11).

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zum Thema: Was empfiehlt der Journalist dem Psychiater (nach Faust 1981: Faust und Hole 1983), ein „alter" Erfahrungspool, der aber nichts an Aktualität verloren hat:

Was empfiehlt der Journalist dem Psychiater im Interesse von Psychiatrie und seelisch Kranken?

  • Die lokale Presse nicht unterschätzen. Sport- und Lokalteil stehen im Leserinteresse vor der Politik. Lokalredakteure ansprechen, „Hintergrundsgespräche" pflegen (gewährt Information und Einblick, auch ohne sich in einem Artikel niederzuschlagen).
  • „Tue Gutes und rede darüber" (Grundsatz der Public Relations). Informationen nicht breit streuen, sondern sich gezielt an Schlüsselpersonen (Familienangehörige, Arbeitgeber, Hausbesitzer, Lehrer u. a.) und Institutionen (Behörden) wenden.
  • Mut zur klaren Aussage; berechtigte Kritik einstecken und sich objektiv und emotionslos zu wehren lernen (Schweigen = Schuldeingeständnis). Keine Angst vor Skandalen und Enthüllungsgeschichten: Ein Fehler ist oftmals ein guter Aufhänger zur Darstellung entsprechender Schwierigkeiten (baulich, personell, ausbildungsmäßig).
  • Die Medien ständig informieren, auch wenn diese nicht ständig reagieren. Sich um die ungeschminkte Wahrheit bemühen („ein Journalist, der gegen den Willen des Betroffenen recherchiert, ist ein Spürhund; ein Journalist, der eingeweiht wurde, kann sich als Helfer erweisen ...“)
  • Jederzeit die Möglichkeit geben, sich an Ort und Stelle umzusehen. Nicht kleinlich sein, vor allem dann nicht, wenn man nicht alle eigenen Wünsche berücksichtigt sieht. Nie beleidigt reagieren, wenn die Nachricht nicht ganz stimmt. Nie versuchen, dem Krankenhaus oder einzelnen Mitarbeitern über Gebühr Geltung zu verschaffen (keine „Hofberichterstattung" erzwingen wollen - siehe später).
  • Den Medien nicht nur aktuelle Sorgen klagen, sondern sie auch an den kleinen (positiven) Alltagserlebnissen teilhaben lassen. Nicht nur in der Fachsprache reden, sondern sich der Mühe einer allgemein verständlichen Erklärung unterziehen. Nicht die „kleine, menschlich anrührende Story“ verkennen; sie kann bisweilen mehr gesellschaftsreformerischen Wert haben als „hochgestochene Publikationen mit wohltönendem Tiefsinn“.
  • Nicht die Menschenkenntnis der Journalisten unterschätzen. Die meisten können sehr wohl unterscheiden zwischen echtem Engagement und demonstrativem, zweckbestimmtem Getue. Letzteres ist leider häufiger und verschiebt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf unqualifizierte, aber aktive Gruppen.
  • Journalisten mit standespolitischen Streitgesprächen verschonen. „Erst das Gespräch untereinander fördern, um zu einer einheitlichen Meinung zu kommen. Massenmedien sind keine Plattform für eitle Selbstdarstellungen oder gar „Selbstbeweihräucherungen“ oder auch nur zur Infiltration der öffentlichen Meinung“.
  • Die Probleme und Zwänge der Medien respektieren lernen: So lebt z. B. der Fernsehjournalist ständig von Kompromissen, die im schlimmsten Fall den Zuschauer belustigen, die Betroffenen entwürdigen („dekoratives Elend für den Fernsehsessel“), den Fachmann verbittern und den Autor unbefriedigt lassen. Das größte Problem: der Zeitfaktor (der Experte braucht viel, der Journalist hat so gut wie keine ...).
  • Folgende Grundsätze akzeptieren lernen: Die Medien können die öffentliche Meinung nur modulieren, nicht aber grundsätzlich ändern. Die Menschen konsumieren bevorzugt die Botschaft, die sie vernehmen wollen. Stets Neues auf dem Hintergrund von Bekanntem bieten („mittlere Vertrautheit“). Die meisten denken in einfachen Wenn-dann-Bezügen (Erfolg der Werbespots). Mit einer einzigen Stilform kann man nur bei einem Teil Erfolg haben. Deshalb nicht breit „streuen“, sondern nach Zielgruppen aufschlüsseln. Wissen emotional einbetten, d. h. das Gefühl ansprechen (Beispiele, Falldarstellungen). Einstellungsänderungen sind aber auch damit nur dort zu erreichen, wo man nicht gegen eingeschliffene Vorurteile kämpfen muss. Angst vor Neuem gering halten.
  • Sich nicht nur über die Möglichkeiten, sondern auch Grenzen journalistischer Arbeit informieren und diese zu respektieren lernen. Schuldzuweisungen, Anklagen, Verbitterung und der „Schmollwinkel“ sind keine gute Basis für die notwendige gemeinsame Zusammenarbeit im Interesse von seelisch Kranken, Angehörigen und den entsprechenden Institutionen.

Schlussfolgerung

Öffentlichkeitsarbeit gehört zu den Grundlagen psychiatrischer Prävention. Dazu gibt es eine Reihe allgemeiner Empfehlungen, die jedoch regional begrenzt sind – und damit auch ihre Effektivität. Auch gibt es die dringend gebotene Kooperation zwischen Psychiatern und Journalisten, die allerdings immer noch von Vorurteilen und vor allem mangelndem Informationsstand geprägt ist, was die Möglichkeiten und Grenzen beider Berufsgruppen anbelangt. Außerdem steht und fällt die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der leider meist begrenzten Dauer einzelner Psychiater-Journalisten-Bekanntschaften oder -Arbeitsbündnisse. Kaum hat sich dies meist alters- oder positionsbedingt geändert, ist oft Schluss mit der einst so fruchtbaren Gemeinschaftsarbeit. Deshalb gilt für alle Generationen: sich leiden-schaftslos(!), aber beharrlich, frustrationstolerant und vor allem über die erwähnten Möglichkeiten und Grenzen der anderen Seite gut informiert immer wieder aufs Neue auf die Suche nach entsprechenden Partnern zu machen.

Auch wenn fraglich ist, ob seelisch Kranke (und wenn sie einen noch so großen Anteil der Bevölkerung stellen) und sogar psychiatrische Institutionen eines Tages „durch die gleiche Tür gehen sollten wie organisch Kranke und Allgemeinkrankenhäuser“, so ist es doch eine permanente Aufgabe, sich hier gezielt einzusetzen. Und es ist sogar eine durchaus erfolgreiche Arbeit, auch wenn sie ihre Grenzen haben mag. Der kontinuierliche Einsatz und die ständig wachsende Zahl seelisch Betroffener wird hier eines Tages die notwendige Denkumkehr bahnen.

LITERATUR

Grundlage vorliegenden Beitrags ist das Kapitel Psychiatrische Öffentlichkeitsarbeit von Volker Faust aus dem Sammelband J. Haisch, K. Hurrlemann, Th. Klotz (Hrsg.): Medizinische Prävention und Gesundheitsförderung. Verlag Hans Huber, Bern 2006

Weitere Literatur-Hinweise:

Deutscher Bundestag: Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland. BT. – Drs. 7/4000 und 4201. Bonn 1975

Faust, V.: Der Psychisch Kranke in unserer Gesellschaft. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1981

Faust, V., G. Hole (Hrsg.): Psychiatrie und Massenmedien. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1983

Gaebel, W. u. Mitarb. (Hrsg.): Stigma – Diskriminierung – Bewältigung. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2005

Murray, C. J. L./Lopez A. D. (1996): The global burden of disease: a comprehensive assessment of mortality and diability from diseases, injuries and risk factors in 1990 and projected to 2020. Cambridge. MA. Harvard School of Public Health on behalf of the World Health organization and the World Bank (Global burden of disease and Injury Series, Vol. I)

newsletter: Öffentlichkeitsaufklärung: wirksam gegen Stigma und Diskriminierung. Newsletter 14 (2005)

Rudolf G.A.E, R. Tölle (Hrsg.): Prävention in der Psychiatrie. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1984

Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim – ZI: Psychose und Stigma. ZI-Information aktuell 2 (2005) 11 bis 15

The World Health Report: Mental Health: New Understanding, New Hope. World Health Organization, Geneve 2001

Weitere Informationen zum Thema siehe die entsprechenden Beiträge in dieser Serie: 1. Öffentlichkeitsarbeit und 2. Öffentlichkeitsarbeit durch psychiatrische Institutionen.

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).