Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
FRAU UND SEELISCHE STÖRUNG (8)Kapitel 8: Schwangerschaft, Geburt und seelische Störung Geburts-Ängste – hormonelle Veränderungen – Schwangerschafts-Erbrechen – Schwangerschaftsvergiftung – Schwangerschafts-Komplikationen – Fehlgeburt – Totgeburt – Schwangerschaftsabbruch – verdrängte Schwangerschaft – posttraumatische Belastungsstörungen – psychische Erkrankungen in der Schwangerschaft: Anpassungsstörungen, somatoforme Störungen, Angststörungen, Zwangsstörungen, Depression und Manie, psychotische Störungen, Suchterkrankungen, Ess-Störungen, Persönlichkeitsstörungen, hirnorganische Störungen u. a. – seelische Störungen nach der Entbindung: Heultage, postpartale Depressionen, postpartale Psychose usw. – Psychopharmaka während Schwangerschaft und Stillzeit
Eine Schwangerschaft gehört für die meisten westlichen Nationen und hier vor allem für Deutschland zu den wichtigsten bevölkerungs-politischen Faktoren. Und im individuellen Fall zählt sie zu den schönsten, glücklichsten Erlebnissen einer Mutter – vorausgesetzt, es ist alles gut gegangen und das Kind ist gesund. Ein gesundes Kind, das ist also die eine Grundlage, eine unauffällige Schwangerschaft und Geburt sowie gesunde Mutter die andere. Für Letzteres gibt es viele Einschränkungen, auch heute noch. In früheren Jahrhunderten war es dagegen tragisch häufig, dass sich mit Schwangerschaft und Geburt ein Drama zu verbinden pflegte. Dass die Menschheit nicht alt wurde, und dies noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts, ging vor allem zu Lasten einer bestürzend hohen Mütter-Sterblichkeit, und dies oft zusammen mit dem Neugeborenen oder gar Ungeborenen. Dass heute Frauen rund sechs bis sieben Jahre älter werden als Männer, und dies noch in einem früher schier unglaublich hohen Durchschnittsalter (82 : 76 Jahre, Tendenz steigend, allein in Deutschland etwa 4.500 100-Jährige, zumeist Frauen), verdanken wir vor allem den Fortschritten der Medizin. Und hier besonders der Gynäkologie, der Frauenheilkunde bzw. Geburtshilfe. Man könnte sich an diese – in Relation zu früher im wahrsten Sinne des Wortes wunderbare - Entwicklung gewöhnen. Und viele tun das ja auch, denken sie ohnehin nicht in ernüchternden Vergleichen zu früheren Generationen. Und damit ohne die Notwendigkeit von Zufriedenheit, wenn nicht gar Dankbarkeit. Doch es gibt auch in unserer Zeit und zumindest medizinisch perfekten Gesellschaft Schwachstellen. Und zwar nicht nur im technischen Bereich, sondern auf persönlicher, individueller, insbesondere gemütsmäßiger und psychosozialer Ebene. Ein Beispiel sind Schwangerschaft und Geburt. Sie sind und bleiben ein mehrschichtiges Phänomen, in das viele Aspekte einfließen; besonders die Seele, vor allem die kranke oder erkrankte Seele. Mit was muss man rechnen, wie äußert es sich, auf was muss man achten, was kann man tun, allein oder mit professioneller Hilfe? Dazu nachfolgend ein Kapitel, das thematisch ähnliche Fragestellungen in dieser Serie ergänzt (z. B. prämenstruelles Syndrom, Klimakterium, Scheinschwangerschaft, Wochenbettpsychose), jetzt konzentriert auf psychische Störungen im Verlauf von Schwangerschaft, Geburt und für die Zeit nach der Entbindung. Dafür nutzen wir die entsprechenden Kapitel des empfehlenswerten Buches Gynäkologische Psychosomatik und Gynäkopsychiatrie von Frau Prof. Dr. med. Anke Rohde und der Dipl.-Psychologin Frau Dr. phil. Almut Dorn von der Gynäkologischen Psychosomatik am Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde der Universität Bonn (Schattauer-Verlag, Stuttgart 2007). Bei Interesse siehe auch das Kapitel über Plastische Chirurgie aus der Rezension zu diesem Buch in dieser Serie.
Es gibt wahrscheinlich keine natürliche Veränderung im menschlichen Körper, auf organischer Grundlage schon äußerlich sichtbar, in seelischer Hinsicht aber ebenfalls nicht grundsätzlich ohne Folgen, wie die Schwangerschaft. Psychische und körperliche Veränderungen sind also in dieser Phase nicht krankhaft, wenn sie sich in einem bestimmten natur-gegebenen Rahmen halten, grenzwertige Folgen durchaus eingeschlossen. So erlebt fast jede Schwangere im Verlauf ihrer Schwangerschaft Veränderungen des Befindens, so genannte Befindlichkeits-Schwankungen, deren positiver Ausschlag gerne hingenommen wird, deren negative Folgen zumeist aber ebenfalls akzeptiert werden. Das eine Beispiel ist eine Art Hochgefühl, das andere Phasen der Niedergeschlagenheit. So ist die Zeit der Schwangerschaft, zumindest für nicht wenige Betroffene, geprägt von Stimmungsschwankungen, erhöhter Sensibilität, Niedergeschlagenheit und Gereiztheit. Dabei ist die Frage: Kind erwünscht oder nicht, gar nicht grundsätzlich entscheidend für das psychische Befinden. Heiß ersehnter Nachwuchs kann durchaus mit negativ empfundener Befindlichkeit einhergehen, und umgekehrt auch; das ist eine alte Erkenntnis. Die wichtigsten seelischen, körperlichen und psychosozialen Veränderungen Welches sind nun die wichtigsten seelischen, körperlichen und psychosozialen Veränderungen, mit denen man eigentlich grundsätzlich rechnen muss? Dazu die Frauenärztin Prof. Dr. Anke Rohde und die Psychologin Dr. Almut Dorn:
Das geht zum einen auf negative Erfahrungen bei früheren Geburten zurück, u. U. bis zu einem ausgeprägten so genannten Entbindungs-Trauma (siehe später). Dabei spielen durchaus auch andere Traumatisierungen (seelische Verwundungen) mit herein, unabhängig von Schwangerschaft und Geburt, z. B. sexueller Missbrauch in Kindheit oder Jugend. Hier kann die bevorstehende Entbindung durchaus wieder alte Wunden aufreißen (Fachbegriff: Re-Aktualisierung). Zum anderen muss man einer nicht einmal grundsätzlich ängstlichen Wesensart zugestehen, dass sie ggf. zunehmend unruhiger wird, je näher das Ereignis rückt; schließlich gibt es nicht nur komplikationslose Geburten und – trotz aller Vor-Untersuchungen – in allen Bereichen gesunde Kinder.
So wie es Menschen gibt, die mehr oder weniger auf solche Eingriffe und Stoffwechsel-Veränderungen ansprechen, so gibt es auch Frauen, die auf die hormonellen Schwankungen in der Schwangerschaft (z. B. Östrogen und Progesteron) mit Stimmungsänderungen, vielleicht sogar einer psychischen Erkrankung wie Depression, Angst- oder Zwangsstörungen reagieren. Meist findet sich dann aber schon in der Vorgeschichte eine gewisse Disposition, also „Neigung“ zu entsprechenden Symptomen. Ein guter Gradmesser dafür ist beispielsweise ein ausgeprägtes prämenstruelles Syndrom (also wie die Patientinnen vor der Monatsblutung reagieren) oder bereits unabhängig davon bestehende Angst- und Zwangs-Symptome, auch ohne Behandlungsbedürftigkeit (Einzelheiten siehe das entsprechende Kapitel in dieser Serie). Auf jeden Fall können diese Krankheitszeichen sowohl „herabstimmen“ als auch „hochstimmen“, also depressiver oder euphorischer Art sein. Bei letzterem findet sich natürlich kein Leidensdruck, im Gegenteil. Das sind die Frauen, die sich „noch nie in ihrem Leben so gut gefühlt haben wie in der Schwangerschaft“. Aber auch beim Auftreten von depressiven, Angst- und Zwangs-Symptomen besteht nicht immer ein Grund zum therapeutischen Eingreifen. Allerdings sollte man ein Auge auf sie haben, und zwar nach der Geburt. Denn hier kann es zu so genannten postpartalen Störungen kommen, insbesondere einer postpartalen Depression (s. später). Dabei gilt die Regel: War die Frau bereits vor der Schwangerschaft einmal seelisch erkrankt, sollte man auch während der Schwangerschaft diesbezüglich aufmerksam bleiben - und noch ausgeprägter nach der Entbindung. Das geht zum einen auf eine möglicherweise während der Schwangerschaft abgesetzte Arzneimittel-Behandlung, z. B. mit antidepressiv wirkenden Medikamenten zurück, zum anderen auf den auch seelisch durchaus riskanten „Hormon-Sturz“ nach der Entbindung, was ebenfalls zu einer „Gemüts-Labilisierung“ führen kann. Interessanterweise – so die Expertinnen – gibt es aber auch Frauen, die vor der Schwangerschaft seelische Probleme hatten, diese während der Schwangerschaft jedoch verlieren oder sich sogar besonders gut fühlen. Leider kann man daraus keine absoluten Vorhersagen ableiten. Es ist „alles möglich“. Entscheidend ist und bleibt eine gute fachärztliche Betreuung. Was gilt es im Auge zu behalten? Die erwähnte Betreuung bzw. ärztliche oder psychologische Begleitung ist der sicherste Weg. Denn leichte seelische Veränderungen und Auffälligkeiten können auch durch eine einfühlsame und gezielt unterstützende Betreuung aufgefangen werden, ohne dass eine spezifische Therapie erforderlich ist. Das trifft in der Regel den Frauenarzt, am besten unterstützt durch den Hausarzt (der früher ganze Generationen versorgt hat und entsprechend informiert ist), ggf. einen speziell geschulten Psychologen. Eine spezifische Therapie ist nicht erforderlich. Wenn dies allerdings notwendig wird, dann sollte man auch einen Psychiater oder Nervenarzt hinzuziehen. Dem gehen in der Regel ausgeprägtere seelische Krankheitszeichen voraus, die zu einem wichtigen Warnhinweis für das eventuelle Ausbrechen postpartaler psychischer Probleme sind. Hier sollte man schon vorbeugend tätig werden, wofür die Experten auch bestimmte Fragebogen einsetzen können (z. B. Edinburgh Postnatal Depression Scale-EPDS). Weitere Einzelheiten siehe im Anschluss an jedes Spezial-Kapitel in diesen Ausführungen. Schwangerschafts-Erbrechen Das bereits erwähnte Schwangerschafts-Erbrechen (Hyperemesis gravidarum) ist ein zermürbendes Leiden, das durch Gewichtsverlust, Flüssigkeitsentzug (Dehydratation) und vor allem Elektrolyt-Verschiebungen im Extremfall auch zu schweren Organschäden führen kann. Dabei ist Übelkeit und gelegentliches Erbrechen eine durchaus häufige Störung, besonders in der Frühschwangerschaft. Das pflegt aber langsam zurück zu gehen. Wenn es aber über viele Wochen bestehen bleibt, vielleicht sogar die regelmäßige Nahrungs-Aufnahme verhindert und die erwähnten Folgen: Gewichtsverlust und/oder Stoffwechsel-Entgleisung auszulösen droht, muss gezielt eingegriffen werden, bis hin zur parenteralen Ernährung über einen Zentral-Venenkatheter (Infusionen). Dass beides, die am meisten zermürbende Dauer-Übelkeit und das anschließende Erbrechen, langsam „völlig fertig machen“, muss nicht eigens betont werden. Deshalb stellt sich die Frage: warum beim einen mehr und beim anderen weniger oder gar nicht? Über die Ursachen tappen die Wissenschaftler noch immer im Dunkeln. Dafür gibt es zahlreiche Hypothesen. Das reicht von hormonellen Ursachen über die Schilddrüsen-Funktion bis zu Infektionen des oberen Verdauungs-Traktes (z. B. mit Helicobacter pylori). Von den psychosozialen Ursachen, die zur Diskussion stehen (aber nicht für jeden bewiesen sind), hört man am häufigsten von einer bewussten, aber noch eher unbewussten Ablehnung der Schwangerschaft, wenn es sich vor allem um eine ohnehin schon schwierige Lebenssituation handelt, die jetzt noch belastender werden dürfte. Deutlich wird dies vor allem dann, wenn die Patientin aus ihrem häuslichen Milieu herausgenommen werden muss und beispielsweise in einer Klinik das Schwangerschafts-Erbrechen verliert. Hier darf man sich dann schon Gedanken machen, was vor allem Partnerschaft und näheres Umfeld anbelangt. Zum besonderen Problem werden die Übelkeit, das Erbrechen und vielleicht sogar Magenkrämpfe u. a. dann, wenn sich Ursache und Folgen zu einem nicht mehr ertragbaren Leidensbild verdichten. Denn man kann sich gut vorstellen, dass eine länger dauernde Hyperemesis gravidarum zu innerer Unruhe, Nervosität, Anspannung, Resignation, Deprimiertheit, ja zu Verzweiflung oder gar Lebensmüdigkeit zu führen vermögen. Das alles wird schließlich so unerträglich, dass die Patientin verzweifelt einen Schwangerschafts-Abbruch erwägt oder fordert, selbst bei erwünschtem oder geplantem Kinderwunsch. Da kann sich schon die Frage nach einer „psychosomatischen Ursache“ stellen, also ob und warum sich ggf. unverarbeitete seelische Probleme während der Schwangerschaft in dauerhafter Übelkeit und ständigem Erbrechen mit Gewichtsverlust äußern. Das wurde auch von den Experten untersucht, wobei sehr sorgfältig auf die Faktoren Erwünschtheit, Geplantheit, Ambivalenz, Auswirkungen der Schwangerschaft im sozialen Umfeld, partnerschaftliche, familiäre, berufliche und sonstige Konflikte u. a. eingegangen werden sollte. Die Forschungs-Ergebnisse, gerade der Abteilung für Gynäkologische Psychosomatik am Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde der Universität Bonn, haben aber gezeigt, dass selbst bei „schweren therapieresistenten Fällen von Hyperemesis gravidarum, die – unbeeinflussbar - zur ausgeprägten Gewichtsabnahme, zu Stoffwechsel-Entgleisungen und parenteraler Ernährung führten, keine psychosomatische Verursachung nachgewiesen werden konnte, wohl aber eine Vielzahl psychischer Auswirkungen bis hin zur Suizidalität“. Diese „psychogene Schiene“ ist also zurückhaltend zu beurteilen, zumal bei fast allen Menschen mehr oder weniger ausgeprägte innere Konflikte, äußere Belastungen oder zwiespältige Gefühle zu diesem oder jenem Problem festgestellt werden könnten. Hier hat sich für die Fachleute etwas erwiesen, das nach eingehender Prüfung vor jedem Schwangerschafts-Abbruch diskutiert werden sollte, nämlich der Einsatz bestimmter antidepressiver Arzneimittel (notfalls auch durch Infusionen, um den Magen nicht zusätzlich zu belasten), was nicht nur stimmungsaufhellend, sondern sogar antiemetisch (brechreiz-mindernd) wirkt. Dadurch werden auch so genannte sekundäre psychische, also Folge-Symptome günstig beeinflusst, insbesondere was Schlafförderung und Angstlösung anbelangt. Da aber während der Schwangerschaft die Gabe von Medikamenten sehr kritisch beurteilt werden muss, bedarf dies der Mit-Hilfe entsprechender Experten, in der Regel der Zusammenarbeit zwischen Frauenarzt und Psychiater. Präeklampsie („Schwangerschaftsvergiftung“) Eine der gefürchtetsten Schwangerschafts-Komplikationen ist die Präeklampsie. Sie wird auch EPH-Gestose oder – als Sonderform – HELLP-Syndrom genannt, im Volksmund nicht zu Unrecht „Schwangerschaftsvergiftung“. In der Medizin wird sie zu den hypertensiven Schwangerschafts-Erkrankungen (Hochdruck) gezählt. Neben dem Bluthochdruck und der Flüssigkeitseinlagerung in den Geweben (Ödemen) finden sich auch Veränderungen der Leber-Enzyme, eine Hämolyse und Thrombozytopenie u. a. (Einzelheiten siehe Fachliteratur), die zu erheblichen Risiken für das Ungeborene und die Mutter selber führen können. Die Ursache sei eine plazentare Durchblutungsstörung, d. h. der Mutterkuchen wird nicht ausreichend versorgt, wobei die Entstehungs-Mechanismen noch immer nicht vollends geklärt sind. Wie so oft, wenn das Organische nachvollziehbar nicht befriedigend weiterhilft, springen gerne psychodynamische Eklärungsmodelle ein, was aber von den Psychiatern, Psychologen und Gynäkologen selber sehr zurückhaltend gewertet wird. Da diskutiert man beispielsweise eine konflikthafte Mutter-Beziehung, eine fehlende Vater-Bindung und aktuelle psychische Krisen. Selbst eine autistisch-rigide Persönlichkeitsstruktur wurde schon erörtert (siehe die Hinweise über Autismus in dieser Serie). Aber wie gesagt: das stößt schnell an seine verstehbaren, nachvollziehbaren und vor allem beweisbaren Grenzen. Deshalb geht es den Fachleuten viel eher um die Folgen und damit psychischen Verarbeitungs-Strategien eines dann doch bedrohlichen Krankheitsbildes. Denn hier können sowohl die werdende bzw. junge Mutter als auch ihr Partner und das ganze familiäre Umfeld durch eine akute Not-Situation erschüttert, ja gelähmt werden. Auf jeden Fall werden nach einer solchen Gestose nicht selten weitere Schwangerschaften vermieden oder verlaufen extrem angst-besetzt. Wird die Präeklampsie dagegen frühzeitig erkannt, dann ist erst einmal der medizinische Teil gut abgedeckt. Doch jetzt wird die Schwangerschaft plötzlich zu einer technisch und laborchemisch engemaschigen Überwachung, ein völlig anderes Bild. Vor allem schwebt über allem ein nicht unerhebliches Risiko. Außerdem kommt die Diagnose meist überraschend, denn die Präeklampsie führt zu keinem Krankheitsgefühl von Bedeutung, alle Symptome sind nach außen eher „stumm“. Natürlich hängt das Leidensbild, zumindest aber die Verunsicherung auch von der Schwangerschaftswoche ab, in der plötzlich so elementare Probleme auftreten. Steht die Lebensfähigkeit des Kindes noch in Frage oder besteht die Gefahr einer starken Frühgeburtlichkeit, wie das die Fachleute nennen, sind die entsprechenden Ängste und Sorgen natürlich noch weit ausgeprägter als bei einer späteren Schwangerschaftswoche. Die Betreuung schließt also nicht nur die Patientin, sondern auch das engere Umfeld, auf jeden Fall den Partner mit ein. Dabei geht es um eine möglichst hohe Transparenz, wie der Fachausdruck heißt, oder auf deutsch: Aufklärung, danach Beratung und möglichst lückenlose Überwachung. Auch wenn alles gut gegangen ist, das Problem kann erneut auftauchen, nämlich beim nächsten Schwangerschafts-Wunsch. Wenn man sich dazu entschlossen hat, dann handelt es sich natürlich um eine Schwangere, die das Vertrauen in die eigenen körperlichen Signal-Funktionen verloren haben könnte, denn sie hat ja bei der ersten Schwangerschaft „fast nichts mitbekommen“, bis die Diagnose plötzlich „regelrecht einschlug“. Das führt jetzt zwangsläufig zu einem verstärkt ausgeprägten Sicherheits-Wunsch, zu einer intensiven „Befindlichkeits-Kontrolle“, ggf. zu einer Überbewertung möglicher, vielleicht sogar auch nur eingebildeter Symptome. Unter Umständen kommt es auch zum Wiederaufleben oder zum erstmaligen Auftreten von Schuldgefühlen, auf jeden Fall zu einer Verunsicherung und mehr oder weniger ängstlich erlebten Schwangerschaft. Dass sich hier eine psychotherapeutische Hilfe bezahlt macht, steht außer Frage. Ob sie tatsächlich stattfindet, muss bezweifelt werden. Sinnvoll wäre es schon, denn eine zumindest lose betreute zweite oder dritte Schwangerschaft nach Präeklampsie hätte die Patientin nicht nur verdient, es würde auch allen zu Gute kommen, die hier beteiligt sind (s. o.). Schwangerschafts-Komplikationen In der Schwangerschaft können die verschiedensten Komplikationen auftreten. Sie haben entweder etwas mit der Schwangerschaft selber zu tun (z. B. die erwähnten Gestosen, das Schwangerschafts-Erbrechen u. a.), aber auch der vorzeitige Blasensprung, die vorzeitige Wehentätigkeit usw., oder sie treten schwangerschafts-unabhängig auf. Beispiele: Infektionen, Organerkrankungen von Lunge, Herz-Kreislauf, Schilddrüse, Magen-Darm, Leber, Haut usf. Vielleicht sogar maligne Erkrankungen, d. h. Krebs von Gebärmutter, Eierstöcken, Brust, aber auch Leukämie, Hodgkin u. a. (Einzelheiten siehe die entsprechende Fachliteratur). Und es gibt seelische Störungen, die eine Schwangerschaft zu belasten vermögen. Was gehört dazu? Das wichtigste sind in diesem Zusammenhang die seelischen und psychosozialen Folgen obiger Störungen. Treten die Komplikationen unvorhergesehen auf, sind mindestens zwei Reaktionen möglich? Die einen halten sich für selber (mit-)verantwortlich, die anderen sind trostlos, dass sie keine „glückliche Bilderbuch-Schwangerschaft“ erleben dürfen („alle, nur ich nicht“). Vielleicht hält man solche Reaktionen für nicht unbedingt behandlungsbedürftig, aber sie können ernste Folgen haben und sind auch eigentlich mit wenigen Worten abzumildern, zumindest zu korrigieren. Kurz: Hier tut eine gute ärztliche Aufklärung über Verursachung und Häufigkeit solcher Komplikationen Not. Sonst können Wunsch und Wirklichkeit so heftig aufeinander prallen, vor allem aber folgenreich voneinander abweichen, dass zusätzliche Probleme drohen, die sonst durchaus vermeidbar wären. Neben einer gezielten Aufklärung geht es aber auch um konkrete Unterstützungsmaßnahmen: Denn sollten obige Krankheitsbilder zu einem Klinik-Aufenthalt zwingen, dann muss auch noch geklärt werden: Wer versorgt den Partner und vor allem vielleicht noch kleine Kinder im Haushalt? Ist die Klinik wohnort-nah; sind somit Besuche (und eine dadurch verbundene Ablenkungs-Strategie) möglich? Gibt es bezüglich Arbeitsplatz, Selbstständigkeit u. a. weitere Schwierigkeiten? Je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr Fragen gilt es zu klären. Wenn solche Probleme aber der Patientin alleine überlassen werden, dann gerät sie unter doppelten Druck. An der Notwendigkeit einer entsprechenden Entlastung und damit Entspannung zweifelt also niemand. Wird sie dadurch auch automatisch möglich? Kaum. Das hängt natürlich von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt von den verfügbaren Ressourcen, wie der Fachausdruck heißt, also schlicht: Hilfs-Möglichkeiten auf allen Ebenen, von der Familie bis zur Klinik. Ein bedeutsamer Faktor, der gerne übersehen, vor allem aber wohl oftmals nicht ernst genommen wird, ist die Ablenkung, von der bereits die Rede war. Tatsächlich sind Ablenkungs-Strategien in solchen Fällen überaus hilfreich. Das geht vom gewohnten Fernsehen, Radio, Lesen über Hörbücher bis zu Handarbeiten und ggf. Entspannungstechniken, notfalls durch CDs und Kassetten. Wer so etwas als nicht gerade zwingend empfindet, der sollte vor allem hoffen, dass er nicht einmal in eine vergleichbare Lage kommt (wozu auch Partner mit einem eigenen Hospitalisations-Risiko gehören). Notfalls kann es aber auch sinnvoll ein, eine Sozialarbeiterin einzuspannen, insbesondere was die Versorgungsmöglichkeiten für weitere Kinder oder z. B. pflegebedürftige alte Eltern anbelangt, was einer ans Klinik-Bett gefesselten Mutter zusätzlich krankheits-riskante Sorgen machen kann. Fehlgeburt, Totgeburt, Schwangerschaftsabbruch Manches, was in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt wurde, mochte nicht immer ausreichend bekannt und in seinen Reaktionen für die Mutter völlig nachvollziehbar sein. Auch das hängt natürlich von vielen Faktoren ab, die hier nicht weiter erörtert werden müssen. Eines aber ist jedem verständlich und löst Mitleid, vielleicht sogar gemeinsame Trauer aus: Fehlgeburt, Totgeburt und Schwangerschafts-Abbruch. Dabei können die psychischen Reaktionen sehr unterschiedlich ausfallen. Während frühe Schwangerschafts-Abbrüche nach wissenschaftlichen Untersuchungen in der Regel nicht mit langfristigen seelischen Folgen einher gehen (was aber im Einzelfall durchaus anders sein kann), ist es bei späteren Schwangerschafts-Abbrüchen aus medizinischer Indikation heraus meist ganz anders. Diese Reaktionen gleichen nach Art und Intensität denen nach einer Totgeburt. Aber wie gesagt: Die individuelle Reaktion ist die Regel, und die ist nur schwer vorhersagbar. In allen Fällen aber gilt es eine gute, psychosomatisch orientierte Betreuung zu sichern. Das wird vor allem dann wichtig, wenn es sich um eine erneute Fehlgeburt handelt, also ein wiederholtes Verlust-Erlebnis einschließlich der wachsenden Befürchtung, ab jetzt kinderlos zu bleiben. Was empfehlen Frau Prof. Anke Rohde und Frau Dipl.-Psychologin Almut Dorn nun sowohl den betreuenden Ärzten und Psychologen, als auch dem näheren und weiteren Umfeld bei Fehlgeburt, Totgeburt oder Schwangerschafts-Abbruch? Im Einzelnen: - Kein Aktionismus: Eine solche Situation ist schwierig, für alle Beteiligten, wer zweifelt daran. Da kann ein teils blinder, teils durchaus gezielt erscheinender Aktionismus durchaus Entlastung bringen – vor allem für das nähere oder weitere Umfeld, seien es Fachleute, seien es Angehörige, Freunde u. a. Dadurch versucht man einer gefühlsmäßig schwierigen Situation aktiv entgegen zu wirken, in Wirklichkeit ihr aber einfach zu entfliehen. Für die Patientin ist es allerdings sehr viel hilfreicher, wenn man ihre nachvollziehbaren (Trauer-)Gefühle mit auszuhalten versucht, „einfach für sie da ist“, was durchaus auch einmal gemeinsames Schweigen heißen kann (was für viele ungleich belastender ist als beispielsweise der erwähnte Aktionismus, auch in rein verbaler Form). Einzelheiten dazu siehe das entsprechende Kapitel über Trauer in dieser Serie. - Das Abschiednehmen vom Kind thematisieren: Natürlich liegt die letzte Entscheidung bei der Patientin, doch eines gilt als bewährt: Man sollte von seinem Kind Abschied nehmen, bewusst. Für die Experten hängt dies nicht zuletzt vom Schwangerschafts-Alter ab, in dem man das Kind verloren hat, wobei das Abschiednehmen ab der 18. bis 20. Schwangerschaftswoche aktiv empfohlen wird. Das ist für den Trauer-Prozess und damit die Bewältigung des Leids immens wichtig. Allerdings – wiederholt – die letzte Entscheidung trifft die Patientin selber. Trauer zulassen und sogar fördern: Wie erwähnt, kann die Trauer bei frühen Fehlgeburten weniger ausgeprägt, für manche betroffene Frauen aber sogar besonders belastend ausfallen. Deshalb pflegt es für die ja nun ehemals Schwangere durchaus hilfreich zu sein, auch bei einer frühen Fehlgeburt bzw. beim Verlust eines „ungeborenen Kindes“ trauern zu dürfen. Vielleicht wirkt es ein wenig sonderbar, diese ausdrückliche Empfehlung abzugeben. Trauern dürfen ist doch wohl das mindeste, was nach einem solchen „Schicksalsschlag“ zulässig ist. Wenn man sich aber einmal umhört, besonders nachträglich bei den Betroffenen, neigen viele aus dem Umfeld dazu, das Trauern möglichst gezielt zu unterbinden, in welcher Form auch immer. Und dies vor allem zur eigenen Entlastung (eine „Unterstellung“, die sicher entrüstet zurückgewiesen wurde, von den Betroffenen aber häufig genug bestätigt wird). - Es gibt nicht die „richtige Trauer“: Und in diesem Zusammenhang sollte man der Trauernden auch deutlich machen, dass es nicht die richtige Trauer gibt. Denn jeder Mensch und in diesem Fall jede betroffene Frau muss hier ihren eigenen Weg finden. Zweifel, vielleicht sogar Scham oder Schuldgefühle, sind völlig unangebracht, was man der ehemals Schwangeren auch nachdrücklich versichern sollte. - Krankhafte Trauer erkennen: Von einer pathologischen (d. h. krankhaften) bzw. komplizierten Trauer spricht man dann, wenn sie das Leben der Betroffenen über einen längeren Zeitraum dominiert, vielleicht sogar das halbe Leben. Und wenn man die üblichen Schritte des Trauerprozesses mit einem schließlich „normalen“ Abschluss (nochmals: Einzelheiten siehe das entsprechende Kapitel in dieser Serie) nicht erkennen kann, d. h. auch nach Monaten noch das Verlust-Erlebnis ein zentrales Thema bleibt und andere Lebens-Aspekte im Hintergrund hält. Krankhafte Trauer bedarf der professionellen Diagnose und Betreuung, wenn nicht gar Behandlung, meinen nicht zu Unrecht die Experten. - Die Differentialdiagnose (was könnte es sonst noch sein) einer Depression bedenken: Bei einer ausgeprägten und lang andauernden Trauer muss deshalb die Entwicklung einer so genannten reaktiven Depression bedacht werden. Reaktive Depressionen oder depressive Reaktionen nach alter Klassifikation gehören zu den psychogenen Depressionen (also ohne organische oder biologische Ursache), meist nach einem Schicksalsschlag, d. h. die nachvollziehbare Trauer ist gleichsam krankhaft „entgleist“. Dies bedarf u. U. einer psychotherapeutischen bzw. psychiatrischen Behandlung, um – gerade bei dieser Ausgangslage – eine längere Beeinträchtigung zu verhindern. - Plattitüden vermeiden: Nicht nur bei einer reaktiven Depression, auch bei der weniger leidvollen Trauer sollte man allzu schlichte Bemerkungen vermeiden. Beispiele: „Machen Sie sich nichts draus, Sie sind noch jung und werden bald wieder schwanger“ oder „das passiert praktisch jeden Tag, weltweit, und das Leben geht trotzdem weiter“ u. ä. So etwas geht nicht nur am Ziel vorbei, es wird von den meisten Frauen auch als nicht-ernst genommen bzw. gar kränkend erlebt. Verdrängte Schwangerschaft „Es kann doch nicht sein, dass man sogar eine Schwangerschaft nicht bemerkt, wenn es einen selber betrifft“, ist eine häufige Reaktion, eigentlich nachvollziehbar. Doch die Frauenärzte entgegnen: Doch, das gibt es. Entsprechende Untersuchungen fassen das in nüchterne Zahlen: Verdrängte Schwangerschaften gibt es im Verhältnis 1 : 475 und völlig unerwartete Geburten eines lebensfähigen Neugeborenen im Verhältnis 1 : 2455. Für Deutschland bedeutet dies etwa 1.600 verdrängte Schwangerschaften und 300 völlig unerwartete Geburten im Jahr, also nicht gerade selten. Die Ursachen eines solchen Phänomens zeigen ein breites Spektrum: Es reicht von der Nicht-Wahrnehmung bei wenig ausgeprägtem Körpergefühl bis hin zur völligen Verleugnung der Schwangerschaft, obgleich sie vorher schon einmal festgestellt worden war. Dabei gibt es natürlich verschiedene Übergänge. Als krankhaft gilt die völlige Verdrängung bzw. Verleugnung einer nicht erwünschten Schwangerschaft, wobei im Einzelfall sogar die Tötung des Neugeborenen droht. Was gilt es im Einzelnen zu wissen, zu erkennen und ggf. zu steuern?
Im besten Fall kann sich die Frau von ihrem Schreck wieder erholen und die Schwangerschaft erst einmal als solche akzeptieren. Das zugrunde liegende Problem ist das bereits erwähnte schlecht ausgeprägte Gefühl für den eigenen Körper, bis hin zur nicht realisierten Schwangerschaft.
Die erste Vorstellung in der Frauenklinik erfolgt mit Eintreten der Wehen oder Platzen der Fruchtblase. Ist das Kind da, kann es (scheinbar) erst einmal akzeptiert werden, vielleicht nimmt man sogar Kontakt mit den Angehörigen auf, deutet möglicherweise eine Adoption an u. a. Doch die Realität sieht leider oftmals ganz anders aus: Solche Frauen verlassen die Klinik (mitunter schon mit falschen Personalien) – und lassen ihr Kind auch dort zurück.
Der Unterschied zu jenen Patientinnen, die ihre Schwangerschaft einfach nicht erkennen, besteht darin, dass sie beim völligen Verleugnen bzw. Verdrängen selbst nach Feststellung der Schwangerschaft, ja sogar nach der Geburt nicht in der Lage sind, sich darauf einzulassen. Hier handelt es sich in der Regel um eine tiefer gehende seelische Störung, die nicht einmal die körperlichen Veränderungen im Laufe der letzten Monate wahrnehmen ließ. Die konkreten Diagnosen bei solchen Vorkommnissen erstrecken sich von der persönlichkeits-spezifischen Unfähigkeit, über realistische Konfliktlösungs-Strategien nachzudenken, geschweige denn sie einzusetzen, bis hin zu ernsteren psychischen Erkrankungen. Nun gibt es ja vermehrt die Möglichkeiten der so genannten Baby-Klappen oder Hilfen bei einer anonymen Geburt; doch sie stellen für solche Frauen keine Lösung dar. Das wäre eher etwas für jene, die sich auf möglichst einfache Weise ihres Kindes entledigen wollen. Doch beim völligen Verleugnen besteht ja bis zur Geburt überhaupt „kein Problem“: „Wie konnte ich über Alternativen nachdenken, ich war doch gar nicht schwanger“ (Zitat). Das alles zeigt: Die Bandbreite solcher Fälle ist erheblich, doch jeder Einzelfall ist anders. Hier gibt es mit Hilfe der Sozialdienste der Kliniken, von Jugendamt und schließlich Psychologen und ggf. Psychiatern durchaus prognostisch günstige Beispiele, aber auch das Gegenteil. Für die Experten, letztlich aber auch für das jeweilige Umfeld gilt es einfach die Augen offen zu halten. Es gibt halt Geschehnisse auf dieser Welt, die man erst einmal nicht begreift, bis man sie miterleben musste. Deshalb geht es vor allem darum, ernsthafte Folgeschäden vom Kind und ggf. der persönlichkeits- oder gar krankheits-bedingt hilflosen Mutter fern zu halten. Adoptions-Freigabe Nicht allzu weit vom Problem der verdrängten Schwangerschaft entfernt ist oftmals der Wunsch nach Freigabe des Kindes zur Adoption - letzten Endes in so manchen Fällen nur ein Teil-Aspekt der gleichen Problematik, geben die Expertinnen zu bedenken. Denn eine Frau, die sich in der Früh-Schwangerschaft damit auseinandersetzt, dass sie ihr Kind nicht möchte oder nicht zur Welt bringen kann, wird in der Regel einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen, allerdings nur, wenn sie in der Lage ist, die entsprechenden Schritte zu unternehmen. Das aber ist nicht immer der Fall, wie man aus der forensischen Psychiatrie weiß, die sich ja mit psychischen Störungen beschäftigt, die in juristische Verwicklungen geraten sind (Stichwort: psychisch kranke Rechtsbrecher). Die Vielschichtigkeit offener Fragen, von der psychischen Seite bis zur fundierten Vermittlung der zuständigen Adoptions-Beratungsstelle, stellt auch an den Frauenarzt mitunter erhebliche Anforderungen. Hier kann es sinnvoll sein, einen auf diesem Gebiet versierten Psychiater mit heranzuziehen. Betreuung traumatisierter Frauen in der Schwangerschaft Psychische Traumata, also seelische Verwundungen aus früherer Zeit, sind eine ohnehin schon für sich mitunter schwer diagnostizierbare und dann auch konkret und erfolgreich behandelbare Last – für beide Seiten, also Betroffene und Therapeut. Als noch problematischer kann sich das während der Schwangerschaft erweisen. Denn hier gibt es ja ganz spezifische Berührungspunkte, am häufigsten die sexuelle Traumatisierung, z. B. sexueller Missbrauch in der Kindheit. Aber auch die Traumatisierung durch eine frühere Entbindung (s. später). Oft ist dabei die Vorgeschichte eines sexuellen Missbrauchs gar nicht bekannt. Deshalb steht der Therapeut, hier vor allem der betreuende Frauenarzt, zunächst vor einem Rätsel: Warum quält sich die Patientin in der Schwangerschaft mit doch scheinbar „unbegründeten Ängsten“, bis hin zu auffälligen Verhaltensweisen? Denn eine Schwangere mit sexuellem Missbrauch in der Vorgeschichte kann beispielsweise besondere, schwer nachvollziehbare Ängste vor der Geburt entwickeln, „irgendwie schwierig“ sein oder grundsätzlich und ohne Not einen Kaiserschnitt einfordern, geben A. Rohde und A. Dorn zu bedenken. Und weiter: Natürlich ist es in der Schwangerschaft nicht sinnvoll und ratsam, die traumatische Vorgeschichte mit Einzelheiten zu erfragen (Fachbegriff: gezielt zu explorieren) und damit möglicherweise noch mehr zur Aktualisierung des bisher verdrängten und erst jetzt wieder hochkochenden Missbrauchs beizutragen. Eine vertiefte Exploration sollte immer im Rahmen einer fachlich fundierten Psychotherapie stattfinden. Andererseits können bei Kenntnis solcher Vorfälle einige orientierende Fragen durchaus weiterhelfen, die Betroffene vor allem „entängstigen“ und eine Vertrauens-Basis aufbauen. Das hat in der Regel durchaus Erfolg. Und wenn nicht, wird man auch hier einen Psychiater beratend hinzu ziehen, der nach der Geburt dann die weitere Betreuung voll übernehmen kann. Es sind aber nicht nur sexueller Missbrauch oder Gewalt von besonderer Bedeutung; auch eine vorangegangene Entbindung kann zum Trauma werden, wie erwähnt. Das ist nicht einmal so selten, weil sich manche Patientinnen schämen oder bewusst versuchen, das Thema zu meiden, nicht zuletzt nach Fehlgeburten, was durchaus auch schuldhaft verarbeitet werden kann. Deshalb wird der Frauenarzt bei seiner Exploration auch danach fragen, wie die letzte Geburt (oder ggf. frühere) subjektiv erlebt wurden. Denn falls es eine „schreckliche Geburt“ gewesen sein sollte, was sich nun erneut wiederholen könnte, diesmal „nur“ durch die belastende Erinnerung, muss man entsprechende Probleme zu vermeiden und eventuell gezielte Verhaltensstrategien zu erlernen suchen. Hier empfiehlt sich möglichst wenig Personalwechsel in der Betreuungs-Situation, um ein gutes Vertrauensverhältnis und das notwendige Sicherheitsgefühl aufzubauen. Dabei geht es nicht nur um Beruhigung, es müssen die vorgebrachten Ängste ernst genommen und die Empfehlung des Frauenarztes hinreichend begründet werden, und zwar unter Einbezug der traumatischen Vor-Erfahrung. Denn verläuft die Entbindung positiv, lässt sich dadurch die negative Erfahrung gleichsam auslöschen, zumindest aber überdecken. Dem dient auch eine ausführliche Nach-Besprechung nach der Geburt, ggf. sogar eine psychotherapeutische Mit-Betreuung.
Schwere Depressionen, Angst- und Zwangs-Störungen treten am ehesten bei Frauen auf, die schon vorher erkrankt waren. Diese Patientinnen sind in der Schwangerschaft auf Grund der hormonellen Umstellung besonders „anfällig“. Dabei kann es zu einem Rückfall auch dann kommen, wenn das seelische Leiden zuvor „völlig ausgeheilt“ schien (was natürlich ohnehin nur selten zu erwarten ist, Rezidive drohen immer). Noch häufiger ist der Umstand, dass sich die schon vor der Schwangerschaft bestehenden Beschwerden verstärken. Nicht selten aber trifft das genaue Gegenteil zu, geben die Expertinnen zu bedenken: Für eine Patientin mit einer vorbestehenden psychischen Störung kann die Zeit der Schwangerschaft sogar zu einer Phase der seelischen Stabilität werden. Sie fühlt sich dann erstaunlicherweise sogar besser als früher. Das wird nicht zuletzt durch den psychotropen Effekt (d. h. mit Wirkung auf das Zentrale Nervensystem und damit Seelenleben) der Plazenta-Hormone begründet. Allerdings konnte die frühere Hypothese nicht bestätigt werden, dass eine Schwangerschaft protektiv (schützend) wirkt. Im Gegenteil: Gerade bei Depressionen in der Vorgeschichte droht während der Schwangerschaft eine mehr als doppelt so hohe Rate von Rückfällen, vor allem wenn die medikamentöse Behandlung mit dem bisher erfolgreichen Antidepressivum abgesetzt wurde. Dazu kommt das Problem, dass eine Depression in der Schwangerschaft ein Vorhersage-Kriterium für die später zu besprechende postpartale Depression nach der Schwangerschaft zu sein pflegt. Möglicherweise setzt man also mit dem grundsätzlichen (!) Absetzen einer bisher erfolgreichen Antidepressivum-Medikation einen regelrechten depressiven Kreislauf in Gang, befürchten Frau Prof. Dr. Anke Rohde und Frau Diplom-Psychologin Dr. Almut Dorn. Aber nicht nur Depressionen, auch so genannte bipolare Störungen, d. h. manisch-depressive Erkrankungen können in der Schwangerschaft erneut auftreten, selbst wenn zuvor ein stabiler Zustand erreicht war – mit oder ohne medikamentöse Behandlung. Das gleiche gilt für Psychosen (Geisteskrankheiten, am ehesten in Form einer Schizophrenie u. ä.). Das größte Problem ergibt sich aus dem vor allem abrupten Absetzen der dafür zuständigen Psychopharmaka, obwohl dies in den seltensten Fällen wirklich sinnvoll und gerechtfertigt ist (siehe das spezifische Kapitel in dieser Serie). Eines aber ist sicher und bleibt sicher: Wie sich eine psychische Erkrankung in der Schwangerschaft verhält, d. h. ob Verbesserung, Verschlechterung oder gleichbleibend, ist ein sehr individuelles Geschehen und kann letzten Endes nicht sicher vorher gesagt werden. Weitere, stichwortartige Einzelheiten siehe die nachfolgende Übersicht im Kasten.
Besonders hilflos und unglücklich fühlen sich aber jene Patientinnen, die bis zur Schwangerschaft keine oder nur geringe Probleme hatten und nun plötzlich und zunehmend mit seelischen Störungen konfrontiert werden. Das findet sich nicht zuletzt bei Zwangserkrankungen, die in der Schwangerschaft in der Tat erheblich zunehmen können. Gerade Zwangsstörungen in ihrer schweren (!) Form erweisen sich manchmal ohnehin als fast therapie-resistent (d. h. auf keine Behandlungsform befriedigend ansprechend). Gerade deshalb wäre eine frühzeitige Therapie sinnvoll, und zwar sowohl psychotherapeutisch (am ehesten verhaltenstherapeutisch) als auch medikamentös (in diesem Fall mit bestimmten Antidepressiva) zugleich. Ähnliches gilt für die Angststörungen, vor allem die gefürchteten Panik-Attacken. Auch hier können die Betroffenen zuvor wenig, ertragbar oder gar überhaupt keine Beschwerden gehabt haben – und letztlich geht es ausgerechnet während der Schwangerschaft los. So etwas kann so belastend werden, dass die Patientin sogar verlangt die Schwangerschaft abzubrechen, weil sie nur dadurch glaubt diese Belastung zu Ende zu bringen bzw. bis zum natürlichen Ende der Schwangerschaft nicht auszuhalten vermag. Hier wird man also auch während der Schwangerschaft so früh wie möglich nicht nur verhaltenstherapeutisch, sondern ggf. auch medikamentös eingreifen müssen.
Das leitet zu dem spezifischen Thema: Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit über (zu letzterem siehe später ein eigenes Kapitel). Tatsächlich ist das sogar für Psychiater eine mitunter schwierige Entscheidung, nicht zuletzt seit der berüchtigten Contergan-Katastrophe in den 60-er Jahren. Natürlich ist es richtig, ungeborene Kinder vor der schädigenden Wirkung von Medikamenten so gut als möglich zu schützen. Andererseits scheint gerade in der Praxis die Angst vor der Gefahr einer Erbgut-Schädigung mit entsprechenden Konsequenzen (Fachbegriff: Teratogenität) durch Medikamente allzu allgemein und pauschaliert zu sein. Hier empfiehlt sich auch für den Psychiater eine Rückfrage beim Experten, der sich auf dieses Feld spezialisiert hat. Dabei stellt sich nicht selten die Frage: Wird eine Schwangerschaft festgestellt und die Patientin bereits mit Psychopharmaka (also meist Antidepressiva oder antipsychotischen Neuroleptika) behandelt, so müssen diese Arzneimittel unter Einhaltung der notwendigen Frist ausgeschlichen (also nicht rückfall-gefährlich abrupt abgesetzt!) werden. Dies allerdings nur dann, wenn sich durch eine Fortführung teratogene Konsequenzen abzeichnen. Nun wird ja die Schwangerschaft meist erst nach der achten oder neunten Woche festgestellt, wobei zu diesem Zeitpunkt bereits alle wichtigen Schritte der so genannten Organo-Genese (also der Organ-Entwicklung) weitgehend vollzogen sind, geben die in diesem Punkt geschulten Frauenärzte und Psychiater zu bedenken. Darüber hinaus ist für die meisten Psychopharmaka keine teratogene Wirkung zweifelsfrei und grundsätzlich nachgewiesen. Dies gilt vor allem – laut A. Rohde und A. Dorn - für die am ehesten genutzten Neuroleptika und Antidepressiva. Vorsicht ist jedoch bei den Rezidiv-Prophylaktika zur Rückfallverhütung geboten, wie etwa Lithium und auch bei den dafür verwendeten Antiepileptika Carbamazepin und Valproinsäure. Man muss also – am besten wohl im Team von Frauenarzt, Psychiater und entsprechendem Experten – diese Frage sorgfältig klären, wobei zwei Aspekte die wohl größte Rolle spielen: Zum einen die in der Regel schon abgeschlossene Organ-Entwicklung des Kindes im Mutterleib, zum anderen die Gefahr eines erneuten Aufflammens der seelischen Störung, die ihre eigenen Probleme aufwirft, besonders während der Schwangerschaft – was dann vielleicht trotz allem erneut den Einsatz der bisher bewährten Psychopharmaka erzwingt. Und schließlich ist es die Zeit nach der Entbindung, die ein noch höheres Erkrankungs-Risiko in sich birgt, und zwar nicht nur für vor-erkrankte, sondern zuvor gesunde Frauen. Deshalb sollte die Zeit um die Geburt herum und für eine bestimmte Frist danach sehr sorgfältig überwacht werden, möglichst durch den schon vorher konsultierten Psychiater. Um das Rückfall-Risiko besser abschätzen zu können, gilt es den bisherigen Krankheitsverlauf, eventuelle Auslöse-Faktoren (z. B. Belastungssituationen) und auch die aktuelle Medikation mit einzubeziehen. Ggf. ist zu besprechen, ob direkt nach der Entbindung nicht eine medikamentöse Prophylaxe sinnvoll wäre, denn wenn es einmal „losgegangen“ ist, dann sind die therapeutischen Bedingungen naturgemäß begrenzter. Dann muss allerdings auch die Frage des Stillens geklärt werden (s. u.). So hat es sich bewährt schon einige Wochen vor der erwarteten Geburt mit beiden Elternteilen alles zu besprechen, was nötig ist. Die Patientin und ihr Partner kennen sich mit der zur Diskussion stehenden Erkrankung ohnehin besser aus, können über erste Hinweise oder gar Warn-Symptome berichten und durch den Psychiater gezielt geschult werden, worauf sie im weiteren achten müssen. Das alles sollte schriftlich fixiert werden, damit während der möglicherweise hektischen Geburts-Situation der dafür notwendige Behandlungsplan bereits vorliegt (weiß man ja oft nicht, welcher Geburtshelfer, welche Hebamme wann, wo und unter welchen Bedingungen zum Einsatz kommen werden). Und was das schon erwähnte Stillen unter Psychopharmaka anbelangt, so entscheidet die Patientin im Allgemeinen schon selber vor der Geburt, ob sie abstillen möchte. Dabei geht es zum einen um das Risiko von Nebenwirkungen beim Kind, zum anderen in ohnehin angespannter gesundheitlicher Lage um die Frage: regelmäßiger Nachtschlaf oder nicht, z. B. durch das Stillen. Denn auch der gesicherte Schlaf ist ein Sicherheits-Faktor, was den befürchteten seelischen Rückfall anbelangt, auch nach der Geburt. In diesem Fall müsste dann der Partner in die nächtliche Versorgung des Kindes enger eingebunden werden können. Manchmal scheint das Abstillen auch deshalb sinnvoll, weil nach der Geburt die Psychopharmakon-Dosis erhöht werden muss. Schließlich empfehlen die Autorinnen beim Abstillen auf jene hilfreichen Medikamente zu verzichten, die in diesem Punkt ansonsten gerne genutzt werden. Denn die dafür eingesetzten Substanzen könnten die ja möglicherweise schon angespannte seelische Lage erst richtig destabilisieren. Auch dies sollte vorher angesprochen und abgemacht werden, beispielsweise um der Hebamme den Einsatz von Ersatz-Methoden nahe zu legen.
Dass die Schwangerschaft eine erhebliche „Anpassungsleistung“ der Mutter darstellt, leuchtet ein. Das gleiche gilt aber auch für die Zeit nach der Entbindung. Die daraus resultierenden etwaigen seelischen Instabilitäten und emotionalen Turbulenzen sind nachvollziehbar und nicht als „pathologisches Geschehen“ anzusehen, geben deshalb Frau Prof. Anke Rohde und Frau Dr. Almut Dorn zu bedenken. Und weiter: „Als nicht mehr normal“, sondern als postpartale psychische Störung sind die Reaktionen erst dann einzuschätzen, wenn eine bestimmte Symptom-Konstellation vorliegt. Oder auf Deutsch: Es müssen bestimmte Krankheitszeichen gegeben sein, die in ihrem Zusammenhang auch an etwas Krankhaftes denken lassen. Allerdings – so die Expertinnen – ist gerade die postpartale Zeit im Leben der Frau die Zeit mit dem höchsten Risiko einer psychischen Erkrankung, ja sogar Klinik-Aufnahme wegen einer Psychose oder anderen psychischen Störungen. Auf was muss man achten, d. h. zuerst die Angehörigen, Freunde, Nachbarn, schließlich der hinzu gezogene Hausarzt und zuletzt Frauenarzt und Psychiater? Am häufigsten sind Depressionen. Dabei gilt es allerdings einen wichtigen Faktor zu beachten: Als Frauenarzt im Krankenhaus, wo die Gebärende ja in der Regel heute ihre Geburtshilfe erfährt, hat man vielleicht das Gefühl, außer mit dem so genannten Baby blues nach der Geburt mit kaum irgendwelchen seelischen Störungen viel zu tun zu haben. Das aber ist ein Irrtum – ein zeitgebundener. Oder kurz: Bevor es „losgeht“ bzw. zumindest theoretisch losgehen kann, ist die Wöchnerin in der Regel schon entlassen. Wen trifft also plötzlich, unvorbereitet und natürlich hilflos die unerwartet ausbrechende seelische Veränderung (wo man doch eigentlich glücklich sein sollte, Kind und Mutter sind doch offensichtlich gesund)? Die Angehörigen, danach den Hausarzt und – wenn nötig – hoffentlich möglichst bald den dafür zuständigen Facharzt, den Psychiater oder Nervenarzt. Im Einzelnen: Was ist möglich? Prinzipiell können alle bekannten seelischen Störungen nach einer Entbindung auftreten (Einzelheiten siehe der Kasten). Dies vor allem dann, wenn bereits eine gewisse Vulnerabilität (also seelische Verwundbarkeit) für psychische Störungen besteht. War also früher schon einmal – mit oder ohne Schwangerschaft – eine solche Entwicklung hin zu nehmen, muss man auch in Zukunft ein Auge darauf haben (nicht zuletzt bei einer ggf. ausgeprägten familiären Belastung, d. h. schon die Mutter der Schwangeren oder deren nahe weibliche Verwandte hatten etwas ähnliches zu erdulden). Allerdings ist im Allgemeinen zuvor kaum erkennbar, ob eine bis dahin gesunde Frau zu einer solchen Risikogruppe gehört oder nicht. In der Regel sind nur statistische Aussagen möglich, wie etwa die, dass Erst-Gebärende sowohl bei Depressionen als auch Psychosen (Geisteskrankheiten) überrepräsentiert sind. Doch das hilft im Einzelfall wenig weiter. Und wie steht es angesichts einer so genannten multifaktoriellen Genese (d. h. mehrschichtigen Entstehungsform z. B. psychosozial, hormonell u. a.)? Lediglich der so genannte Baby blues (s. u.) lässt sich vollständig auf die hormonelle Umstellung zurückführen. Alles andere ist entweder Erb-Last oder psychosozial (z. B. Partnerschaft, Lebenssituation, zusätzlich belastende Lebensereignisse). Außerdem natürlich persönlichkeits-spezifisch (z. B. Perfektionismus, hoher Leistungsanspruch, Kontrollbedürfnis) bzw. eine gewisse Furchtsamkeit, Unsicherheit u. a. Allerdings darf man bei allem nicht vergessen, dass die Geburt mit ihren seelischen und körperlichen Belastungen schon als relevantes Lebensereignis gilt (Fachbegriff: life event), was dann in den Gesamtrahmen einzurechnen ist. Aber zurück zur Frage: Mit was ist zu rechnen bzw. zuvor: Sind die zu erwartenden postpartalen psychischen Störungen nach der Geburt eigenständige Erkrankungen? Zum Problem der diagnostischen Zuordnung Postpartale Depressionen oder gar Psychosen oder gar Psychosen („Geisteskrankheiten“) gehören zu den bekanntesten psychischen Störungen nach der Entbindung. Schon die antiken Ärzte Hippokrates vor rund 2.500 Jahren und Galenus vor mehr als 1.800 Jahren beschäftigten sich mit seelischen Störungen im Wochenbett. Und bereits vor über hundert Jahren wurden jene Faktoren diskutiert, die auch heute noch teilweise aktuell sind, wenngleich mit unterschiedlichem Schwerpunkt (in Fachbegriffen: Anämie, Hirnödem, Mastitis, Adnexitis, Meningitis sowie rein seelisch Schreck, Kummer, Furcht, Unfähigkeitsgefühle oder wahnhaftes Erleben rund um die Geburt). Heute allerdings ist man sich sicher: Depressionen und Psychosen nach der Geburt sind keine eigenständigen Krankheitsbilder, im Gegenteil. Diese Störungen verlaufen auch unabhängig von Schwangerschaft und Entbindung. Deshalb sollte man die bisher gängigen Begriffe wie „Wochenbett-Depression“ und „Wochenbett-Psychose“ lieber vermeiden. Und der Baby blues (die Heultage – s. u.) sind ohnehin nicht in den internationalen Klassifikationen von ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und DSM-IV-TR der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) zu finden. Trotzdem muss man natürlich wissen, was sich hier abspielt. Im Einzelnen: Baby blues – „Heultage“ Der Begriff „Heultage“ ist zwar plastisch und lässt keine Unklarheiten aufkommen, wird aber von vielen Frauen als diskriminierend empfunden. Leider gibt es keine sinnvollen deutschen Bezeichnungen in der wissenschaftlichen Literatur. Der Vorschlag „postpartale Dysphorie“, also Verstimmung, ist auch nicht viel besser. Manche verwenden den etwas sperrigen Begriff „affektive Turbulenz“, das rasche Auf und Ab bzw. den Wechsel intensiver Gefühle beschreibend. Wie auch immer, es ist nicht krankhaft und geht auch relativ rasch wieder vorbei. Außerdem ist dieses Phänomen um den dritten bis fünften Tag nach der Entbindung mehr als der Hälfte aller Wöchnerinnen bekannt (50 bis 70 %). Schon diese Zahl macht klar: Es ist, es kann gar keine Störung sein, sondern eine seelisch betonte hormonelle Umstellungs-Folge. Denn die hohen Hormon-Werte von Östrogenen und Progesteron werden ja innerhalb kürzester Zeit auf ihr Normalmaß reduziert, und das führt zu offenbar weniger dramatischen körperlichen und ggf. eher stimmungs-labilisierenden Konsequenzen. (Vergleichbare Beispiele finden sich auch bei Schilddrüsen-Erkrankungen, der hormonellen Stimulation bei reproduktions-medizinischen Maßnahmen („künstliche“ Schwangerschaft) und den Nebenwirkungen der so genannten Glukortikoide, also Nebennierenrinden-Hormone.) Was ist zu erwarten? In erster Linie eine ausgeprägte Affekt-(Gemüts-) Labilität, eine erhöhte Empfindlichkeit (z. B. bei Kränkungen), ein rascher Wechsel zwischen Euphorie (Hochgefühl) und Weinen bis zum gleichzeitigen „glücklich und traurig sein“. Außerdem Merk- und Konzentrationsschwäche, Energielosigkeit, Mattigkeit u. a. Das alles ist im Allgemeinen nicht behandlungsbedürftig. Hilfreich ist allerdings ein gefühlvoller Umgang mit entsprechender Zuwendung. Hier können schon manche Wöchnerinnen recht alleine bleiben, das sollte man bedenken, auch wenn es nicht gleich auffällt. Auch haben diese Frauen mit der Angst zu kämpfen, jetzt in eine richtige Depression abzustürzen. Doch dazu kommt es nur selten. Allerdings darf man auch nicht verkennen, dass der Baby blues nach neueren Untersuchungen durchaus auch eines der verschiedenen Vulnerabilitäts-Merkmale für das Auftreten einer postpartalen Depression sein kann. Außerdem kann sich natürlich ein Baby blues auch auf eine bereits vorbestehende Depression oder Angststörung gleichsam aufpfropfen. Deshalb ist in diesem Zusammenhang wichtig, nicht nur der Mutter, sondern auch dem Vater die notwendige Aufklärung und emotionale Stützung zukommen zu lassen. Väter sind bisweilen noch „einsamer“ als die Mütter, die ja nun doch im Durchschnitt mit der üblichen Zuwendung rechnen dürfen.
Natürlich bestehen bei nicht wenigen Frauen vor der Geburt entsprechende Ängste. Trotzdem ist es für die meisten ein schönes Erlebnis. So wird es auch in der Allgemeinheit und in den Medien dargestellt. Umso schlimmer wird es, wenn sich die Geburt als traumatisch, also negativ, belastend, folgenreich abzuzeichnen scheint. Und wenn daraus eine längere Zeit mit Verunsicherung, zusätzlichen Belastungen, Zukunftssorgen resultiert. Obgleich dazu bisher nur wenige gezielte Untersuchungen vorliegen, spricht man doch in der Wissenschaft von etwa zwei Prozent so genannter posttraumatischer Belastungsstörungen. Einzelheiten dazu siehe die entsprechenden Hinweise in dieser Serie. Solche traumatisch erlebten Entbindungen mit der Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung sind etwa zehn Mal häufiger als die postpartale Psychose (Symptome einer Geisteskrankheit nach Geburt – s. o.). Außerhalb der Geburt sind es meistens einschneidende Ereignisse, wie die Folgen von Verkehrsunfällen, Katastrophen, Kriegserlebnissen, von Geiselnahme u. a. Dabei wird durch die Forschung immer deutlicher, dass neben der objektiven Schwere eines solchen Ereignisses auch die subjektive Bewertung von Bedeutung ist – vor allem mittel- bis langfristig. Und deshalb kann man sich auch gut vorstellen, dass eine Geburt subjektiv traumatisch ausfallen kann, obgleich möglicherweise objektiv gesehen gar keine besonderen Schwierigkeiten bestanden. Welche Folgen das haben kann, finden sich im nachfolgenden Kasten.
Was posttraumatische Belastungsstörungen nach der Geburt anbelangt, so können sie immer wieder durch entsprechende Bilder oder Begegnungen re-aktiviert werden (Fachbegriff: Flash backs), beispielsweise bei der Begegnung mit einer schwangeren Frau. Das heißt auch, dass die Betroffenen den Kontakt mit anderen Müttern scheuen, nicht an Spielgruppen teilnehmen und Nachuntersuchungen nicht wahrnehmen. Besonders betroffen sind so genannte vor-traumatisierte Frauen, z. B. durch sexuellen Missbrauch in der Vorgeschichte oder andere Erfahrungen dieser Art. Darüber hinaus können auch bestimmte Persönlichkeitseigenschaften bahnend wirken. Beispiele: hohes Kontroll-Bedürfnis bzw. Schwierigkeiten, mit Hilflosigkeit und dem Gefühl des Ausgeliefert-Seins adäquat umzugehen. Dabei scheinen besonders jene Frauen gefährdet zu sein, bei denen nach langwierigen Versuchen, das Kind auf natürliche Weise zu gebären, letztlich doch eine so genannte sekundäre Sectio, also ein Kaiserschnitt unter der begonnen (!) Geburt notwendig wurde. Hier findet sich dann ein unseliges Zusammenspiel von Schamgefühlen, vielleicht auch einem unsensiblen Verhalten von Seiten des „gestressten“ Geburtshelfers und der nachvollziehbaren Angst, es hätte alles schief gehen können, für das Kind und ggf. vielleicht sogar für die Mutter. Da sich eine solche posttraumatische Belastungsstörung aber nur unzureichend, auf jeden Fall schwer konkretisierbar nach außen abzeichnet, erfährt der Geburtshelfer unter Umständen erst bei einer Nachbesprechung, wie die vielleicht durchaus akzeptable Geburt zum traumatisiernden Geburtserlebnis geworden ist. Deshalb sind solche Nachbesprechungen eine wichtige diagnostische und beruhigende Hilfe, ja ein fast schon entscheidendes therapeutisches Werkzeug zur Vorbeugung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie sollten deshalb für Geburtshelfer und Hebammen zur Selbstverständlichkeit werden, wenn auch nur die geringsten Anzeichen einer Verunsicherung bestehen, mahnen die Expertinnen der Universitäts-Frauenklinik Bonn. Da aber von der Wöchnerin nur selten Fragen kommen, muss sie aktiv danach befragt werden, wie sie die Geburtssituation erlebt hat. Oft ist es nämlich so, dass die Fachleute um sie herum die Geburt als völlig unkompliziert eingestuft haben, die Patientin selber aber glaubt – wenn auch irrtümlich – ein traumatisches Erlebnis mit fast schicksalhaftem Ausgang hinter sich zu haben, das dann ohne Aufarbeitung später zur traumatischen Dauer-Belastung und schließlich posttraumatischen Belastungsstörung wird. Das kann auch weitreichende Folgen über das subjektive Empfinden hinaus haben. Denn wenn eine Geburt als traumatisch erlebt wurde oder sich gar zu einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickelt hat, so entsteht nicht selten ein Vermeidungsverhalten bezüglich weiterer Schwangerschaften; die Patientin will auf keinen Fall mehr schwanger werden. Wird sie es aber trotzdem, dann kommt es zu einer mehr oder weniger plötzlichen, auf jeden Fall unerwarteten Re-Aktualisierung der früheren Geburtserlebnisse. Die Folgen kann man sich ausmalen: Gefühle von Hilflosigkeit und Ausgeliefert-Sein, intensive, mitunter albtraum-artige Erinnerungen, die sich unkorrigierbar und fast zwanghaft wie ein Film abspulen und die alten Erlebnisse dramatisch wiederholen, schließlich depressive Reaktionen, zuletzt eine Art innere Ertaubung bzw. Gefühllosigkeit. Und alles durch quälende Schlafstörungen verstärkt, ganz zu schweigen von dem vermutlich gar nicht so falschen Empfinden, sich letztlich niemand anvertrauen zu können, wer würde es auch verstehen (wollen). Postpartale Depression „Depressive Symptome nach einer Entbindung beginnen häufig schleichend und sind schwer abzugrenzen von den „normalen Auswirkungen der Entbindung und der damit zusammen hängenden Lebensveränderung“, beginnen die Autorinnen Anke Rohde und Almut Dorn dieses Kapitel. Die Krankheitszeichen einer postpartalen Depression treten in der Regel nicht unmittelbar, sondern erst in den ersten Wochen bis Monaten nach einer Entbindung auf; eine Häufung findet sich zwischen dem siebten und zehnten Tag post partum, also der Zeit des üblichen Entlassungstermines aus der Frauenklinik. Eine postpartale Depression trifft etwa zehn bis 15 % der Wöchnerinnen. Dabei ist es – wie erwähnt – nicht einfach, auch nicht für die Ärzte, eine „krankhafte depressive Entwicklung“ von einer „normalen Reaktion“ nach der Entbindung abzugrenzen. Zur Diagnose gehört deshalb immer der Ausschluss organischer Ursachen. Dazu zählen beispielsweise eine Anämie (Blutarmut) oder eine Schilddrüsen-Funktionsstörung. Inwieweit der ausgeprägte Östrogen-Mangel nach der Entbindung eine (Mit-)Ursache für die Entstehung einer postpartalen Depression sein kann, wird in Fachkreisen noch kontrovers diskutiert. Das depressive Syndrom ist vielfältig, wie bei jeder Depressions-Form: Herabgestimmt, niedergeschlagen, Problem-Grübeln und Gedankenkreisen ohne Ende, insbesondere über die Zukunft, Antriebsminderung, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Merk- und Konzentrationsstörungen sowie Weinen (was beispielsweise bei so genannten endogenen Depressionen am Anfang eher selten der Fall ist). Es kann sogar zu Zeichen der Lebensmüdigkeit kommen, bis hin zu riskanter Suizidgefahr (in der dann im Extremfall nicht nur die Mutter, sondern auch das Neugeborene bedroht sein kann: erweiterter oder Mitnahme-Suizid)! Nach Ansicht der Experten gibt es bei der postpartalen Depression verschiedene Prägnanz-Typen, bei denen unterschiedliche Krankheitszeichen im Vordergrund stehen und die auch zu ganz unterschiedlichen therapeutischen Strategien zwingen. Im Einzelnen:
Diese Unsicherheit und Zwiespältigkeit kann sogar bis zu der Überlegung führen, ob es nicht besser wäre, das Kind zurückgeben zu können“ bzw. zur Adoption freizugeben. Wenn daraus eine immer stärkere Lebensmüdigkeit erwächst, dann kann sogar das absurde Endergebnis lauten: „Wenn ich mich umbringe, dann kann mein Mann neu heiraten und dann bekommt mein Kind wenigstens eine richtige Mutter“. Wird dieser Typ postpartaler Depression nicht rechtzeitig erkannt, führt er immer tiefer in eine depressive Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht. Unbehandelt kann dies sogar zu einer schleichenden dauerhaften depressiven Verlaufsform führen. Deshalb muss man auch medikamentös antidepressiv eingreifen, was zumeist erfolgreich ist. Die erwähnte Suizidalität ist gerade bei diesem Typ postpartaler Depression sehr ernst zu nehmen. Das Spektrum reicht von einfachen Gedanken allgemeiner Lebensmüdigkeit bis zu konkreten Suizid-Ideen, einschließlich des erweiterten Suizids. Hier muss ein Psychiater hinzugezogen werden. Weigert sich die Patientin, eine solche Behandlung und Betreuung anzunehmen, kann sogar eine Zwangseinweisung erforderlich werden, was aber bei möglichst früher Behandlung mit einem (in diesem Fall am besten beruhigenden und schlaf-anstoßenden) Antidepressivum nur selten nötig wird.
Wie ist das möglich? Etwa den Kinderwagen an einer abschüssigen Stelle loslassen, das Kind vom Arm fallen zu lassen oder gar aus dem Fenster zu werfen, es nach dem Baden im Wasser liegen zu lassen oder gar zu ersticken, wenn nicht gar zu erwürgen oder zu erstechen. Solche „monströsen Überlegungen“ machen natürlich große Angst, von entsprechenden Scham- und Schuldgefühlen ganz zu schweigen. Deshalb erfährt man kaum etwas darüber und muss bei Verdacht gezielt, aber behutsam nachfassen. Tröstlich ist dabei die Bemerkung, dass so etwas nicht selten ist und dass man etwas dagegen tun kann. Dabei solle der Fragende allgemein bleiben, keine konkreten „Methoden“ ins Gespräch bringen, da sie den zwanghaften Gedanken unfreiwillig nur neue Nahrung geben können. Schwieriger wird es, wenn es sich nicht um „reine Zwangsgedanken, sondern um akustische Halluzinationen, also Gehörs-Trugwahrnehmungen handelt. Wenn solche krankhaften Sinnestäuschungen imperativen (befehlenden) Charakter entwickeln, wird es schon problematischer. Zwangsgedanken werden so gut wie nie in die Tat umgesetzt, krankhafte Zwangs-Befehle hingegen sind ggf. gefährlich und führen oft zu Reaktionen, die sich später kein Mensch mehr erklären kann, am allerwenigsten die Patientin selber. Einzelheiten dazu siehe später. Bei der subjektiv empfundenen zwanghaften Schädigungs-Gefahr des eigenen Kindes kann es auch bereits zu einem so genannten Vermeidungs-Verhalten gekommen sein, d. h. die Patientin tut bereits alles, um die scheinbar tödlichen Impulse, die von ihr ausgehen, zu neutralisieren. Beispiele: alle scharfen Messer aus der Küche verbannen, das Kind nur noch in Anwesenheit einer dritten Person baden u. a. Wenn man die Not der Wöchnerinnen aus dieser Situation heraus wahrnimmt, dann ist sie ja bereits fortgeschritten und bräuchte zum Abbau dieses an sich ja „vernünftigen“, aber letztlich doch quälenden Verhaltens eine verhaltenstherapeutisch orientierte Behandlung.
Einzelheiten zu den Panikattacken siehe die entsprechenden Beiträge in dieser Serie. Beim Panik-Typ der postpartalen Depression handelt es sich aber um Frauen, bei denen vorher nie Panikattacken oder sonstige Angst-Symptome aufgetreten sind. Hier geht es also um einen Teil der depressiven postpartalen Symptomatik. Eine entsprechende Therapie schafft in der Regel Abhilfe. Antidepressive Therapie und Still-Wunsch bei postpartaler Depression Die postpartale Depression ohne oder mit Panikattacken (in letzterem Fall umso mehr) braucht nicht nur Aufklärung, soziotherapeutische Stützung und psychotherapeutische Führung, sondern auch – wie erwähnt – nicht selten eine antidepressive Medikation. Die Auswahl des Antidepressivums richtet sich nach dem dominierenden Beschwerdebild (unruhig-gespannt bis getrieben, seelisch-körperlich gedämpft bis blockiert oder nur herabgestimmt, ohne Antriebsstörung in beide Richtungen). Wichtig ist auf jeden Fall die Erkenntnis: Die Behandlungsdauer muss mindestens sechs Wochen über die Zeit hinausgehen, nach der die Symptome verschwunden sind. Leider werden die Medikamente zumeist zu früh abgesetzt, dass kann einen Rückfall bedeuten, ist auf jeden Fall ein Risiko. Das Problem einer Wöchnerin liegt aber noch auf einer anderen Ebene: dem Wunsch, sein Kind zu stillen. Die meisten Mütter sind der ja zutreffenden Ansicht, dass das Stillen nicht nur natürlich, sondern auch die beste Entscheidung für das Neugeborene sei. Im Rahmen einer Depression kommt dem Stillen noch eine besondere Bedeutung zu, nämlich dem Gefühl, dass das Stillen das einzig Positive ist, was die ja ohnehin resignierte, depressive und von Scham und Hoffnungslosigkeit gequälte Mutter zu bieten hat, wo sie doch „auf allen Gebieten sonst versagt“ zu haben glaubt. Nun ist Stillen und notwendige medikamentöse Behandlung nicht grundsätzlich unvereinbar. Allerdings muss immer eine Nutzen-Risiko-Abwägung vorausgehen. Einzelheiten dazu sie die entsprechenden Beiträge in dieser Serie. Dort wird auch deutlich, dass der Satz: „Mit Antidepressiva dürfen sie nicht stillen“ so generell und grundsätzlich nicht richtig ist. Deshalb gilt es einen dazu ausgewiesenen Experten zu konsultieren, wenn sich der behandelnde Arzt in dieser Hinsicht nicht kompetent genug fühlt. Die postpartalen Psychosen Eine Psychose ist eine „Geisteskrankheit“. So bezeichnete man sie früher. Die Experten sehen diesen Begriff zwar als überholt an, die Allgemeinheit jedoch kann mit ihm wenigstens etwas anfangen, auch wenn das Krankheitsbild in seinen Einzelheiten kaum durchschaut wird und deshalb besonders Angst macht und stigmatisierungs-riskant ist. Was versteht man darunter? Einzelheiten dazu siehe die entsprechenden Kapitel in dieser Serie, vor allem über Schizophrenie, schizoaffektive Psychose (wenn schizophrene und depressive/manische Symptome zusammen oder kurz hintereinander vorkommen) u. a. Die früher so genannte „Wochenbett-Psychose“ als eigenständiges Krankheitsbild gibt es jedoch nicht, wie erwähnt. Trotzdem haben Patientinnen mit psychotischen Störungen in der Vorgeschichte (z. B. Trugwahrnehmungen, wahnhafte Reaktionen, so genannte Ich-Störungen u. a.) ein erhebliches Erkrankungs- bzw. Rückfall-Risiko nach der Entbindung. Je nach Störung liegt es bei 25 bis 75 %. Manische Störungen Am häufigsten sollen manische Psychosen sein. Ohne jetzt auf die etwas komplizierte psychiatrische Klassifikation in diesem Bereich eingehen zu wollen, sei nur kurz vorweg genommen: Heute spricht man von affektiven (Gemüts-)Störungen. Sie werden unterteilt in manische Episoden (nur krankhafte Hochstimmung), bipolare affektive Störungen (manische oder depressive Episoden), rein depressive Episoden, nicht zuletzt rezidivierend (immer wieder auftretend oder gar anhaltend) u. a. Einzelheiten siehe die entsprechenden Kapitel in dieser Serie. Zustände gehobener krankhafter Stimmung und Umtriebigkeit fallen glücklicherweise am ehesten auf (auch wenn sie manchmal unfassbar lange vom Umfeld nicht als solche realisiert werden: was nicht sein darf, kann nicht sein ...). Was muss man wissen? - Während einer hypomanischen, submanischen oder maniformen Phase bzw. Episode ist die Stimmung lediglich gehoben, kann aber auch schon einmal grenzwertig gereizt sein, vor allem, wenn man die Wesensart des Betreffenden aus gesunden Tagen zum Vergleich heranzieht. Was auf jeden Fall auffällt ist eine gesteigerte Aktivität in jeder möglichen (oder unmöglichen) Richtung, ja eine Ruhelosigkeit, Rastlosigkeit, Umtriebigkeit, meist ohne nachvollziehbaren Effekt. Dazu ein gesteigerter Redefluss, vermehrte Ablenkbarkeit bis hin zu peinlichen Konzentrationseinbußen, ein vermindertes Schlafbedürfnis, eine ggf. gesteigerte Libido, Geselligkeit oder übermäßige Vertraulichkeit und Einkäufe u. ä. von „leichtsinnig bis verantwortungslos“. - Eine Manie ohne psychotische Symptome fällt vor allem durch ihre überwiegend gehobene Stimmung auf, ungewöhnlich für Wesensart und Situation und manchmal auch gereizt bis aggressiv. Wieder sind es gesteigerte Aktivität bis hin zur Ruhelosigkeit, pausenloser Rededrang, jetzt aber auch Ideen-Flucht oder das subjektive Gefühl von regelrechtem Gedanken-Rasen, noch weniger Schlafbedürfnis, noch mehr überhöhte Selbsteinschätzung bis hin zum Größenwahn, noch stärkere Ablenkbarkeit, wenn nicht gar ein andauernder Wechsel von Aktivitäten oder Plänen. Und schließlich ein allseits peinlich registrierter Verlust normaler sozialer Hemmungen mit unangemessenen Verhaltensweisen, ja zuletzt einem fast „tollkühnen“ bis rücksichtslosen Verhalten ohne Abschätzung der jetzt drohenden Risiken (vom partnerschaftlich-familiären Bereich bis zu Verkehr, Beruf u. a.). Peinlich, wie erwähnt, vor allem eine jetzt dann doch unübersehbar gesteigerte Libido mit sexueller Taktlosigkeit oder gar entsprechendem (Risiko-)Verhalten, was bei einer Frau erfahrungsgemäß sehr viel „strenger“ beurteilt wird. - Eine Manie mit psychotischen Symptomen zeigt die gleichen Krankheitszeichen, jetzt aber mit Wahn und Halluzinationen, z. B. Erlösung, Weltverbesserungs- und andere Größenideen sowie Stimmen, die unmittelbar zur Patientin sprechen und ihr – wie schon einmal angedeutet – gefährliche Befehle geben können. Gefährlich deshalb, weil vielleicht das Kind vor vermeintlichen Verfolgern versteckt werden soll (siehe Verfolgungs-Wahn); oder wenn das Kind selber Objekt der Wahn-Ideen ist. Beispiele: wahnhafte Überzeugung, das Kind sei vertauscht worden (Doppelgänger-Wahn) oder gar vom Teufel besessen, durch den Satan ausgetauscht oder verdorben worden u. a. Folge: Tötungs-Gefahr. Manchmal drohen sogar Suizid-Absichten, um das Kind oder beide, nämlich Mutter und Kind, vor vermeintlichen Verfolgern zu retten, also Gefahr eines erweiterten Suizides. Daneben kann es auch im Rahmen nicht erkannter organischer Beeinträchtigungen, Belastungen oder Krankheiten zu akut auftretenden Verwirrtheitszuständen kommen, bei denen das Bewusstsein traumhaft verändert erscheint. Dazu ggf. wechselnde Wahn-Einfälle mit Personenverkennung sowie akustische und/oder optische Halluzinationen, Desorientiertheit, Unruhe bis zur Getriebenheit und ratlosem Staunen. Aus der Sicht der Psychiater ist dabei auch an ein unerwartetes Entzugs-Delir durch vorangegangenen Alkohol-, Medikamenten- oder Rauschdrogenkonsum zu denken. Der Verlauf ist in der Regel durch einen raschen Symptom-Wandel gekennzeichnet: häufig abrupte Verhaltensänderungen, Auftauchen und Verschwinden entsprechender Krankheitszeichen „wie ein Spuk“, d. h. die Patientin erscheint eben noch völlig unauffällig, obwohl sie davor oder danach psychotisch reagiert(e). Schlussfolgerung: Postpartale Störungen, vor allem mit psychotischen Symptomen aus welchem Grund auch immer, müssen umgehend einem Psychiater/Nervenarzt vorgestellt, gezielt behandelt (Neuroleptika) und ggf. in eine psychiatrische Fachklinik eingewiesen werden. Die Verantwortung für die Betroffene und ihr Kind kann keinesfalls von den Angehörigen übernommen werden, auch wenn sich diese noch so vehement gegen eine solche (stationäre) Behandlung stellen. In Einzelfällen muss man eine Unterbringung beantragen.
Ein besonderes Problem, leider eigentlich bis heute nur selten adäquat erkannt, eingeschätzt und betreut, sind entsprechende Reaktionen nach Frühgeburt, Fruchttod oder Todgeburt. - Eine Frühgeburt führt unter den heutigen Bedingungen im Allgemeinen – neben einer nachvollziehbaren Sorge, wie es später weitergehen soll -, zu keinen ernsteren Beeinträchtigungen. Das ist aber nach so genannten extremen Frühgeburten anders, insbesondere wenn das Kind schlechte Heilungsaussichten hat oder gar verstirbt (s. u.). Hier kann es zu fließenden Übergängen zwischen nachvollziehbarer Trauer, komplizierter Trauer oder gar (krankhafter) depressiver Reaktion kommen. Das ist besonders dann zu erwarten, wenn sich bei überlebenden, extrem früh geborenen Kindern eine ggf. drohende Behinderung abzeichnet, vielleicht die Behinderung schon diagnostiziert ist. Das alles ist normal, findet aber in der Hektik des Alltages nicht die notwendige Zuwendung. Allerdings – so die Experten – nehmen die Mütter nach der Geburt eines Frühchens nur sehr selten und selbst in äußerst belastenden Situationen erstaunlich selten psychologische Hilfe in Anspruch; Väter fast nie. Sie sind häufig so eingebunden, dass sie dazu kaum Zeit und den notwendigen Willen finden. Wenn das Kind dann auch noch heimat-fern in einer neonatologischen Intensivstation eines speziellen Zentrums behandelt wird, dann bleibt noch weniger Zeit und Kraft für eine fachliche Betreuung übrig. Trotzdem sollten solche Angebote verfügbar sein, zumindest mit entsprechenden Informationen und mit dem Hinweis auf konkrete Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und Therapeuten. Spätestens nach der Stabilisierung des kindlichen Gesundheitszustandes wäre dann ggf. an einen solchen Schritt zu denken. - Eine besonders schwere Belastung ist der plötzliche unerwartete Tod eines noch ungeborenen Kindes, der so genannte intrauterine Fruchttod. Die Ärzte unterscheiden zwischen einem Spät-Abort und einer Todgeburt. Nach deutschem Recht gilt ein totes Kind ab einem Gewicht von 500 g als Todgeburt und nicht als Fehlgeburt, muss also gemeldet und beerdigt werden. Oft wird der intrauterine Tod (also in der Gebärmutter) des Fetus völlig unvermittelt erkannt, z. B. durch plötzlich abnehmende oder schließlich fehlende Kindbewegungen, durch eine Kontrolle der fetalen Herztöne oder die routinemäßige Ultraschalluntersuchung. Die Folge ist zunächst ein extremer Schock, dann eine Belastungsreaktion. Das erfordert eine einfühlsame, gleichzeitig aber professionelle Betreuung und sehr, sehr viel Erfahrung. Aus ihr erwächst die Antwort auf die Frage: aktiv trösten oder erst einmal nur stumm aber hilfsbereit verfügbar sein. Leider flüchten sich manche Ärzte, Schwestern und Hebammen in eine „neutrale“, aber oft zu sachliche, bisweilen unterkühlt erscheinende Haltung, was die Betroffenen unter Umständen vor den Kopf stößt. Hier kann der Einsatz entsprechend geschulter Fachleute (und genügend Zeit und ein entsprechender Raum!) viel Leid schon im Ansatz verhindern helfen. Dies schließt ggf. auch eine ambulante Weiterbetreuung ein, und zwar für Mutter und Vater. Denn nicht lange danach stellt sich für die Eltern, insbesondere für die Mutter, die Frage nach möglichen Ursachen und vor allem eigenen Verschulden: Ob sie etwas falsch gemacht oder übersehen habe, wann wohl der Tod des Kindes eingetreten sei, ob sie mehr auf die Bewegungen hätten achten müssen, sich vielleicht zu sehr belastet habe usw. Hier müssen die Experten eine konkrete Ab- und Erklärung der Todesursache veranlassen, um auch für spätere Schwangerschaften Vorsorge zu treffen. Gelingt es, die zugrunde liegende Ursache zu objektivieren, können der Mutter (oft) die hartnäckigen Schuldgefühle genommen werden. Häufig aber findet sich eben keine Ursache, was dann aber ebenfalls erläutert werden soll. Schwierig ist die Frage, ob eine Obduktion (Leicheneröffnung) weiterhelfen würde. In der Regel ja, aber das ist auch keine einfache Entscheidung der Eltern. Denn manchmal dauert es auch gerade für die Angehörigen unfassbar lange, bis die Obduktions-Ergebnisse schließlich Klarheit vermitteln. Ein weiteres Problem ist beim intra-uterinen Fruchttod die Geburts-Einleitung bzw. der Wunsch der Mutter, durch einen Kaiserschnitt das ganze Elend möglichst rasch zu beenden. Auch hier ist eine sachliche, aber einfühlsame Aufklärung unerlässlich, und zwar nicht nur aus medizinischer Sicht (normale Risiken einer Sectio, vor allem bei einer noch unreifen Gebärmutter), auch zur seelischen Verarbeitung des Verlustes. Dafür ist nämlich in der Regel das Geburts-Erleben eines selbst verstorbenen Kindes wichtig. Leider ist die Geburt eines toten Kindes ein Tabu-Thema, niemand mag es ansprechen, ja viele haben nach der Geburt sogar Angst, das tote Kind anzuschauen. Doch gerade bei einer späten Fehlgeburt oder Todgeburt sind das bewusste Geburts-Erleben und insbesondere der Abschied vom Kind wichtig für die spätere Verarbeitung des Erlebten. Dies ist auch bedeutsam für die Folge-Schwangerschaften. Hier sind ggf. human-genetische und pränatal-medizinische Beratungen sinnvoll, eine entsprechende Schwangerschafts-Überwachung, der Ausschluss möglicher Risiken – vor allem aber die Bewältigung der Furcht vor einer erneuten Todgeburt. Letzteres muss ebenfalls sorgfältig abgewogen werden, um durch eine intensivere Beschäftigung mit dem Problem nicht noch mehr Ängste und Zweifel zu wecken. Gerade um jene Schwangerschaftswoche herum, in der es bei der vorangegangenen Gravidität zum Tode des Kindes gekommen ist, stehen die Frauen in der Regel sehr unter Druck. Das gleiche gilt dann wenige Tage oder Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Hier ist eine entsprechende Betreuung nicht nur sinnvoll, sondern im Einzelfall sogar unerlässlich. LITERATUR
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |