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Fibromyalgie

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Chronische Schmerzen im Bereich der Muskeln und Gelenke

Chronische Schmerzen im Bereich von Muskeln und Gelenken nennt man heute Fibromyalgie. Verstärkt wird das Beschwerdebild noch durch Morgensteifigkeit, Müdigkeit, Schlafstörungen, Stimmungslabilität, ggf. Merk- und Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Kopfdruck, Magen-Darm-Störungen sowie weitere Beeinträchtigungen. Die Zahl der Betroffenen (insbesondere weiblichen Geschlechts) wächst ständig und schließt inzwischen sogar immer mehr junge Menschen ein.

Die Ursachen sind unklar, wahrscheinlich eine Kombination aus körperlichen Schwachpunkten (wenngleich kaum nachweisbar, auf jeden Fall eher geringfügig) und vor allem seelischen bzw. psychosozialen Beeinträchtigungen (gemütsmäßige Vernachlässigung, wenn nicht gar Misshandlung im Kindes- und Jugendalter u.a.?).

Die Folgen im späteren Leben sind ein komplexes, schwer durchschaubares und noch schwieriger behandelbares Leidensbild, das die Ärzte und Psychologen immer wieder vor Rätsel stellt. Das führt nicht selten zu einer so genannten Therapie-Resistenz, d. h. es helfen weder Psycho-, noch Soziotherapie und letztlich auch keine Medikamente, insbesondere keine Schmerzmittel. Dafür fällt ein häufiger Arztwechsel auf, der dann auch entsprechende Kosten nach sich zieht – ohne befriedigendes Ergebnis für alle Beteiligten.



Erwähnte Fachbegriffe:

Fibromyalgie – Muskelfaser-Schmerzen – Gelenk-Schmerzen – Generalisierte Tendomyopathie – psychogener Rheumatismus – Morgensteifigkeit – Müdigkeit – Schlafstörung – Stimmungslabilität – Lendenwirbel-Schmerzen – Halswirbel-Schmerzen – Kniegelenk-Schmerzen – Hüftknochen-Schmerzen – Fingergrundgelenk-Schmerzen – Fingermittelgelenk-Schmerzen, Zehengrundgelenk-Schmerzen – Kiefergelenk-Schmerzen – Schmerzpunkte – tender points – Schweißausbrüche – funktionelle Magen-Darm-Beschwerden – funktionelle Herzbeschwerden – Kopfschmerzen – wandernde Missempfindungen – schnelles Erröten – Bindegewebsschwellungen – Nacken-Schmerzen – Rumpf-Schmerzen – Rücken-Schmerzen – Merk- und Konzentrationsstörungen – Reizblase – häufiger Harndrang – Dysmenorrhoe – allergische Reaktionen – Pseudo-Allergien – Schmerzen bei der Monatsblutung – Stress – Schlafdefizit – Kältereaktionen – feuchtes Wetter – Wetterwechsel – schwere körperliche Arbeit – chronisches Müdigkeits-Syndrom – Colon irritabile – Vulnerabilität – sensorische Hypervigilanz – überspannte Wachheit – geringe Schmerztoleranz – rasche Dekompensations-Neigung – verlängerte Erholungszeit – Überempfindlichkeit gegenüber Sinneseindrücken – Geräusch-Überempfindlichkeit – Licht-Überempfindlichkeit – Geruchs-Überempfindlichkeit – Umweltreize – „überspanntes Nervensystem„ – psychosomatische Beschwerden – zwischenmenschliche Belastungen – gemütsmäßige Vernachlässigung – körperliche Gewalt – sexueller Missbrauch – gewalttätige Erziehungsmethoden – kindliches Trauma – kindliche seelische Verwundung – doctor-shopping – Schmerzmittelkonsum – seelische Über-Kompensation – mangelhafte Selbstbehauptung – unzureichende gemütsmäßige Offenheit – Hyperaktivität – Aggressions-Hemmung – Depressionen – Angststörungen – angst-typische Muskelverspannungen – angst-typische psychovegetative Reaktionen – unreife Konfliktbewältigung – Verdrängung – Gesamt-Behandlungsplan – Kombinations-Therapie – Psychotherapie – Gruppentherapie – Psychoedukation – körperliches Training – Verhaltenstherapie – aktive Konfliktlösungs-Strategien – physikalische Behandlungsformen – Ausdauertraining – Herz-Kreislauf-Fitness-Training – Massage – Gymnastik – Bürstenmassagen – Wechselduschen – Antidepressiva – stimmungsaufhellende Psychopharmaka – trizyklische Antidepressiva – selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) – Beruhigungsmittel – Tranquilizer – Benzodiazepine – Muskelrelaxantien – nicht-steroidale Antirheumatika – Corticoide – opiathaltige Schmerzmittel – u.a.m.

Die Fibromyalgie (FM) ist ein schwer durchschaubares Krankheitsbild, das erst in den letzten Jahren von sich reden machte. Übersetzt lautet es: Schmerz in den Muskeln(fasern).

Lange Zeit wurde dieses Leiden (früherer Fachbegriff: Generalisierte Tendomyopathie) nicht als eigenständige rheumatologische Erkrankung definiert, sondern dem psychogenen (rein seelisch ausgelösten und unterhaltenen) Rheumatismus zugeordnet. Das heftige Schmerzbild im Bereich der Muskeln, Sehnen und Bänder ließ zwar an eine Entzündung denken, doch dies war laborchemisch nicht zu beweisen. Heute hat sich dieser Begriff international durchgesetzt und wird wie folgt definiert:

Die Fibromyalgie ist ein chronisches Schmerzleiden, das besonders durch Schmerzen im Bereich der Muskeln und Knochen (vor allem Gelenke), durch Morgensteifigkeit, Müdigkeit, Schlafstörungen und Stimmungslabilität charakterisiert ist.

Allgemeine Aspekte

Die Zahl der Betroffenen wächst ständig und beschäftigt insbesondere Hausärzte, Internisten, Orthopäden und Rheumatologen, aber nur selten Psychiater und Psychologen, die die Betroffenen fast schon gezielt meiden („bin ich verrückt?„). Befallen sind vorwiegend Frauen (6:1). In den USA spricht man von 2% der Gesamtbevölkerung, Frauen: 3,4%, Männer: 0,5%. In Europa nimmt man deutlich mehr an, nämlich 10 bis 13% (?).

Die Erkrankung beginnt um das 35. Lebensjahr. Jenseits der 60 ist ein erstmaliges Ausbrechen dieses Leidens eher selten. Der Häufigkeitsgipfel wird in den Wechseljahren erreicht.

Bei etwa jedem 4. bis 5. Patienten fangen die Beschwerden bereits in Kindheit und Jugend an (dann meist irrtümlich „dem Wachstum„ zugeschrieben). Wie bei den Erwachsenen dominieren Gelenkschmerzen sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen, gelegentlich sogar Magen-Darm-Beschwerden. Häufig wird auch über Kniegelenksschmerzen (mit Schwellungen) geklagt. Auch hier überwiegen Mädchen.

Beschwerdebild: Das wichtigste Symptom ist ein Schmerz, der „überall und nirgends„ quält bzw. sogar wandert („eigentlich tut es mir überall weh„). Am häufigsten wird er im Bereich von Lenden- und Halswirbelsäule geklagt, aber auch in oder zwischen den Schultern, an den Innenseiten der Kniegelenke, an den Hüftknochen, im Gesäßbereich u.a. Seltener sind Fingergrund- und Mittelgelenke, Zehengrundgelenke, ja sogar Kiefergelenke mitbetroffen.

Neben diesen Schmerzregionen oder gar Schmerzpunkten (es gibt bereits regelrechte „Landkarten des Druckschmerzes„, Fachbegriff: tender points) beeinträchtigen auch Schweißausbrüche, funktionelle (d. h. ursächlich nicht erklärbare) Magen-Darm- und Herzbeschwerden ohne organischen Befund sowie Kopfschmerzen, (wandernde) Missempfindungen, schnelles Erröten, bisweilen sogar Bindegewebsschwellungen (z. B. an den Armen) usw.

Weitere Einzelheiten siehe die nachfolgende Tabelle.

Fibromyalgie-Beschwerdebild

  • Schmerz

    - vor allem im Rumpfbereich, insbesondere Nacken und Rücken
    - verbunden mit Morgensteifigkeit, subjektiv empfundenem Gefühl der Schwellung im Bereich von Händen, Armen und Beinen (bisweilen sogar durch Flüssigkeitseinlagerungen und damit Gewichtszunahme, die sich aber wieder zurückbilden)
    - Missempfindungen wie Brennen, Kribbeln oder Taubheitsgefühle an Händen und Füßen u.a.
  • Müdigkeit und Leistungseinbruch

    - selbst auf geringe Anstrengung hin schwere, unphysiologische (nicht erklärbare, krankhaft erscheinende) körperliche, geistige und seelische Erschöpfung
  • Schlafstörungen

    - nicht erholsamer Schlaf, am Morgen wie „gerädert„
  • Kognitive Störungen

    - Merk- und Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit
  • Stimmungslabilität

    - depressive Verstimmungen, furchtsam bis zu Angststörungen
  • Kopfschmerzen

    - insbesondere Spannungskopfschmerz im Bereich von Schläfen und Hinterhaupt
  • Magen-Darm-Störungen

    - diffuse, schwer objektivierbare Beschwerden im Bereich von Magen und Darm
  • Weitere Beeinträchtigungen

    - häufiger Harndrang (Reizblase), Schmerzen bei der Monatsblutung (Fachbegriff: Dysmenorrhoe), Neigung zu allergischen Reaktionen bzw. „Pseudoallergien„ auf bestimmte Nahrungsmittel u.a.m.

Der Krankheitsverlauf ist sehr unterschiedlich, vor allem ausgesprochen individuell. In der ersten Zeit sind die Schmerzen meist auf einige wenige, oft nur einen einzelnen Bereich beschränkt, in der Regel Hals- und Lendenwirbelregion (Fachbegriff: myofasziales Schmerzsyndrom). Dann folgt eine Verstärkung des Leidensbildes, in der Regel durch Wetterumschwung, aber auch durch berufliche, familiäre, partnerschaftliche und sonstige Stress-Situationen. Der Endzustand bzw. das volle Schmerzbild wird in der Regel erst nach einigen Jahren erreicht (durchschnittlich 7 Jahre?).

Die Ursachen sind unklar, wahrscheinlich eine Kombination aus organischen Schwachpunkten (wenngleich kaum nachweisbar, auf jeden Fall eher geringfügig) und vor allem seelischen bzw. psychosozialen Beeinträchtigungen. Bei genauer Analyse lassen sich oft Zusammenhänge zwischen Beginn der Beschwerden und seelischen Belastungen aufdecken. Eine Steigerung der Beeinträchtigungen finden sich auch nicht selten bei Ermüdung, Stress, Schlafdefizit, aber auch bei Kälte und feuchtem Wetter bzw. Wetterwechsel und durch anhaltende schwere Arbeit ausgelöst. Während Freizeit, Ablenkung und Ferien (sowie kurzfristig auch durch Wärme) gehen die Schmerzen zurück oder verschwinden ganz.

Doch letztlich weiß man bis heute nicht, welche Ursachen diesem Beschwerde-Komplex zugrunde liegen. Einzelheiten dazu siehe auch das Kapitel über die Hintergründe des chronischen Müdigkeits-Syndroms, von dem nicht wenige Experten behaupten, dass es möglicherweise mit der Fibromyalgie und dem Colon irritabile zusammen ein „modernes„, wenngleich schwer durchschaubares und vor allem behandelbares Leidensspektrum bildet.

Psychosoziale Aspekte

Will man alle bisherigen Erkenntnisse in ein so genanntes „Ursachen-Modell„ einbauen (Fachbegriff: pathogenetisches Krankheitsmodell) und vor allem die Wechselwirkungen zwischen einer biologischen Anlage sowie möglichen psychosozialen Belastungssituationen berücksichtigen, dann drängen sich oft folgende Überlegungen auf:

- Psychophysiologische Gesichtspunkte: Die individuelle Verwundbarkeit (Fachbegriff: Vulnerabilität) für eine Fibromyalgie kann durch seelische, psychosoziale und biologische Einflussfaktoren bestimmt sein, also sowohl erblich bedingt als auch durch zwischenmenschliche Beeinträchtigungen gefördert bzw. ausgeklinkt und später unterhalten werden.

Dies führt – auf der neuro-biologischen Ebene (die vor allem das Zentrale Nervensystem, insbesondere das Gehirn erforscht) – erst einmal zu einer so genannten sensorischen Hypervigilanz, oder auf Deutsch: einer gleichsam überspannten Wachheit auf dem Gebiet der Sinnesempfindungen. Beispiele: geringere Schmerztoleranz („es tut schneller und heftiger weh„), schnellere Neigung zur Dekompensation nach körperlicher Belastung sowie längere Erholungszeit danach, größere Empfindlichkeit gegenüber Sinneseindrücken wie Geräusche, ggf. auch Licht, Geruch u.a.

Der Grund ist eine Dysfunktion bzw. fehlende Hemmung im Bereich der zentralen sensorischen Reizverarbeitung mit entsprechenden Folgen (die erwähnte Hypervigilanz). Oder wiederum auf Deutsch: Das Gehirn ist Umweltreizen hilfloser ausgeliefert als sonst üblich, kann schlechter „filtern„ und gerät damit schneller an seine Belastungsgrenzen mit der Konsequenz: „überspanntes Nervenssystem„ mit entsprechender Überempfindlichkeit auf seelischer, geistiger, körperlicher sowie psychosozialer Ebene, was nicht zuletzt den psychosomatischen Bereich betrifft (ungelöste seelische Probleme äußern sich körperlich, aber ohne krankhaften organischen Befund).

- Was sind das nun für zwischenmenschliche Belastungsfaktoren, von denen immer wieder die Rede ist? Offensichtlich sind bzw. waren viele Fibromyalgie-Patienten einem Familienklima ausgesetzt, das von emotionaler (gemütsmäßiger) Vernachlässigung, ggf. sogar von körperlicher Gewaltanwendung bis hin zum sexuellen Missbrauch in der Kindheit geprägt war (ähnlich wie bei seelisch bedingten „Bauchschmerzen„, Stichwort: funktionelle Abdominal-Beschwerden oder anderen psychogenen Schmerzen). Vor allem Letzteres ist zwar nicht unumstritten, doch die gemütsmäßige Vernachlässigung und eine gewisse Neigung zu „brachialen (zur Gewalttätigkeit neigenden) Erziehungsmethoden„ scheint sich noch doch gehäuft zu finden, insbesondere wenn bei den erwachsenen Erziehungspersonen noch Alkoholmissbrauch im Spiel war.

In einzelnen Studien scheint sich sogar eine direkte Beziehung zu finden: Je ausgeprägter das kindliche Trauma (also die seelische Verwundung, beispielsweise durch körperliche Misshandlung), desto höher später die Schmerzempfindlichkeit, die Zahl der schmerzintensiven Druckpunkte und sonstigen Begleit-Beschwerden einschließlich funktioneller Einschränkungen, je nach betroffenem Organ-Bereich; vor allem auch um so häufiger die Konsultation von Ärzten (bis hin zum „doctor-shopping„ – siehe später) und ein entgleisungsgefährlicher Schmerzmittel-Konsum.

- Solche seelischen Verwundungen in Kindheit und Jugend stören nach Meinung der Experten die Entwicklung zu einer eigenständigen und selbstbewussten Persönlichkeit, untergraben das Bindungsverhalten zu anderen (insbesondere Angehörigen), erhöhen die Verwundbarkeit für weitere psychische Störungen und führen zu so genannten Über-Kompensationen, die nicht gut gehen können (in Fachbegriffen): besonders hohe Anforderungen an sich selber bei gleichzeitig geringer Selbstbehauptung und mangelhafter gemütsmäßiger Offenheit; Hyperaktivität als Form der Selbstwert-Regulierung; Aggressions-Hemmung und erhöhte Neigung zu Depressionen und vor allem Angststörungen.

Fibromyalgie, Depressionen und Angststörungen

Gerade wegen Letzteren wurde in jüngerer Zeit immer wieder die Frage aufgeworden: Ist die Fibromyalgie im Grunde eine affektive oder Gemütsstörung, insbesondere eine Depression? Die Antwort nach dem bisherigen Erkenntnisstand lautet: Depressive Verstimmungen sind zwar in diesem Zusammenhang nicht selten, das ist nachvollziehbar. Da sie auch noch den Umgang mit Schmerz und Lebensgestaltung beeinflussen, und zwar negativ, kann sich daraus durchaus ein Teufelskreis entwickeln. Dann aber sind es eher zwei getrennte Krankheitsbilder, die sich in ihrem Beschwerdemuster noch gegenseitig verstärken. Dass aber Fibromyalgie und Depression ursächlich zusammenhängen, scheint nach bisherigem Wissensstand nicht wahrscheinlich.

Ähnliches gilt für Angsterkrankungen. Nicht jeder Fibromyalgie-Betroffene leidet an einer Angststörung. Was aber immer wieder auffällt ist eine Neigung zu Angstreaktionen (man glaubt sogar herausgefunden zu haben, dass die Anzahl der Schmerzpunkte mit dem Ausmaß der Angst zusammenhängt). Angst kann sogar – stärker noch als depressive Verstimmungen – Schmerz und Müdigkeit (also auch das chronische Müdigkeitssyndrom) besonders intensiv beeinflussen – negativ natürlich. Das wird auch durch die Erkenntnis gestützt, dass die Reaktion auf Schmerzen häufig von der Grundpersönlichkeit abhängt und hier ängstliche Menschen besonders schmerz-labil sein sollen, nicht zuletzt durch die angst-typischen Muskelverspannungen und andere psychovegetative Reaktionen (Herz-Kreislauf, Schweißausbrüche, Zittern) des Organismus.

Fibromyalgie-Patienten mit ausgeprägtem Leidensbild neigen auch zu intensiver Selbstbeobachtung, was natürlich einen Teufelskreis anheizt, insbesondere über die Schiene der bereits erwähnten Hypervigilanz (siehe oben) mit hypochondrischen Folgen, d. h einer überzogenen Krankheitsfurcht. Oder kurz:

Depressive Verstimmungen sind ein ernster zusätzlicher Belastungsfaktor, zusätzliche verstärkte Angstreaktionen aber pflegen noch folgenreicher auszufallen, was das Leiden und Leid der Fibromyalgie-Betroffenen anbelangt.

Sehr wichtig in diesem Zusammenhang sind deshalb die von den Psychiatern und Psychologen erfragten Zusammenhänge zwischen dem erstmaligen Auftreten der Fibromyalgie-Beschwerden und möglichen Belastungssituationen, seien sie seelischer, seien sie organischer Art (z. B. Stress oder Verlust oder Kränkung bzw. eine Gelenk- oder Wirbelsäulenverletzung).

Hier macht sich dann auch negativer als bei anderen Schmerz-Patienten bemerkbar, dass Fibromyalgie-Patienten ihre Beeinträchtigungen einerseits sehr genau bis überspannt kontrollieren und andererseits eine – wie die Experten meinen – unreife Art der Konfliktbewältigung entwickelt haben, die die Überwindung solcher Beeinträchtigungen erschwert. Auffällig ist deshalb auch der immer wiederkehrende Versuch der Betroffenen, das Schmerzbild einseitig hervorzuheben und die offensichtlich gedrückte und ängstliche Stimmungslage beharrlich herunterzuspielen, manchmal sogar in reizbar-aggressivem Ton, wenn der Arzt oder Psychologe darauf anzusprechen versucht.

Therapeutische Möglichkeiten und Grenzen

So nimmt es auch nicht Wunder, dass die Behandlung – wie bereits erwähnt – ein bisher ungelöstes Problem bleibt. Selbst die an sich ja erfolgreiche Kombinations-Therapie im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans mit psychotherapeutischen Verfahren (Behandlung mit seelischen Mitteln), Entspannungsübungen, physikalischen Maßnahmen und bestimmten Arzneimitteln hat ihre Grenzen – leider.

- Psychotherapeutisch steht vor allem die Gruppentherapie im Vordergrund, die sowohl in einer Klinik als auch ambulant beim niedergelassenen Psychiater, Nervenarzt oder Psychologen erfolgen kann. Stichworte in Fachbegriffen (siehe Spezialliteratur): Psychoedukation, Entspannungsverfahren, körperliches Training und Verhaltenstherapie. Am besten sprechen jene Patienten an, die neben einer kürzeren Krankheitsdauer mehr Eigeninitiative, insbesondere aktivere Konfliktlösungs-Strategien beitragen können. Ein einheitliches psychotherapeutisches Behandlungskonzept existiert aber nicht, weil gerade die Fibromyalgie-Patienten von ihrer Wesensart und den Ausgangsbedingungen her sehr unterschiedlich zu sein pflegen.

- Entspannungsverfahren sind jedoch in jedem Falle sinnvoll, wenngleich bei manchen Patienten leider ebenfalls nur begrenzt wirksam.

- Das Gleiche gilt für die physikalischen Behandlungsformen: Ausdauertraining, Herz-Kreislauf-Fitnesstraining, ggf. Massage, Gymnastik, Bürstenmassagen (Trockenbürsten), Wechselduschen u.a.

- Die größte Bedeutung in der medikamentösen Therapie haben die Antidepressiva, also die stimmungsaufhellenden Psychopharmaka. Hier sind es vor allem (Fachsprache, siehe Spezialliteratur) die so genannten trizyklischen Antidepressiva, die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), möglicherweise auch andere Antidepressiva-Substanzen. Leider ist auch hier der Erfolg begrenzt (nur jeder Dritte?).

Auf Beruhigungsmittel, also Tranquilizer vom Typ der Benzodiazepine sollte trotz guter muskel-entspannender und angstlösender Wirkung im Allgemeinen verzichtet werden; die Abhängigkeitsgefahr ist nicht gering, besonders bei entsprechender Wesensart, was nicht zuletzt Fibromyalgie-Patienten einschließt (siehe oben).

Weniger überzeugend wirken nebenbei die so genannten Muskelrelaxantien (muskel-entspannende Arzneimittel), die nicht-steroidalen Antirheumatika und die Corticoide, die zwar manchmal spektakuläre Anfangserfolge, aber in der Regel keine dauerhafte Wirkung ermöglichen. Ähnliches gilt für opiathaltige Schmerzmittel mit zu Beginn erleichternder Wirkung, später aber nebenwirkungs- und vor allem sucht-riskanten Konsequenzen.

Am besten spricht deshalb der erwähnte Gesamt-Behandlungsplan an, der antidepressive Medikamente, physikalische Maßnahmen und spezifische psychotherapeutische Verfahren (z. B. Gruppentherapie) nutzt und von Therapeuten geleitet wird, die über einschlägige Erfahrung und – nebenbei bemerkt – viel Geduld verfügen.

Weitere Hinweise, insbesondere über das chronische Müdigkeits-Syndrom, das ja häufig mit der Fibromyalgie zusammen vorkommen soll, siehe der spezielle Beitrag über die chronische Müdigkeit.

LITERATUR

Schwer diagnostizierbares und therapierbares Leidensbild, das in letzter Zeit zugenommen hat, desgleichen die Fachliteratur und zunehmend auch populärmedizinische Artikel. Nachfolgend eine begrenzte Auswahl an Fachbüchern:

Berg, P. A. (Hrsg.): Chronische Müdigkeits- und Fibromyalgiesyndrom. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2003

Ecker-Eggle, M.-L., U. T. Eggle: Fibromyalgie. In: Eggle, U. T. u. Mitarb. (Hrsg.): Handbuch Chronischer Schmerz. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2002

Eggle, U. T., S. O. Hoffmann (Hrsg.): Der Schmerzkranke. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 1993

Eich, W.: Chronische Polyarthritis (und Fibromyalgie). In: Uexküll, Th. v. (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Urban & Fischer-Verlag, München-Jena 2003

Gräfenstein, K. (Hrsg.): Therapie rheumatischer Erkrankungen. ecomed-Verlag, Landsberg 1996

Gralow, I. u. Mitarb. (Hrsg.): Schmerztherapie interdisziplinär. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2002

Herrmann, J. u. Mitarb.: Fibromyalgie. In: Uexküll, Th. v. (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Urban & Schwarzenberg, München 1990

Keel, P. J.: Fibromyalgie. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1995

Saller, R., D. Hellenbrecht: Schmerzen – Therapie in Praxis und Klinik. Hans-Marseille-Verlag, München 1991

Zenz, M., I. Jurna (Hrsg.): Lehrbuch der Schmerztherapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1993

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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