Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
WAS MACHT EIN PSYCHIATER, WAS MACHT EIN PSYCHOTHERAPEUT?Eine Telefon-Umfrage in Wien
Der Arzt, der sich der Seele und ihren Störungen annimmt, gehört zu den ältesten Berufsgruppen der Menschheit. Das betrifft vor allem sein Tätigkeitsgebiet, d. h. seine diagnostischen und therapeutischen Aufgaben. Die Berufsbezeichnung des Seelenarztes als Psychiater ist natürlich nur wenig älter als 100 Jahre. Aber das gilt für andere medizinische Disziplinen auch. Was den Psychiater allerdings von Chirurgen, Internisten u. a. unterscheidet, ist ein offensichtlich weniger günstiges Image, d. h. Vorstellungsbild, das sich die Allgemeinheit von einer Person oder Berufsgruppe macht. Oder verkürzt und für die Betroffenen wenig erfreulich: in der allgemeinen Beurteilungs-Skala ein geringeres Ansehen. Mit dem Begriff „Ansehen“ oder der gesellschaftlichen Stellung ist es aber auch nicht exakt umschrieben. Es umgibt den Psychiater offenbar ein eigenes Fluidum, eine besondere Ausstrahlung mit entsprechend atmosphärischer Wirkung auf die Menschen. Dies ist auch nicht (nur) negativ wertend. Man akzeptiert, ja man schätzt die ärztliche Leistung des Psychiaters. Sie ist nicht nur notwendig, sie wird offenbar immer häufiger gesucht, wie repräsentative Untersuchungen nahe legen (z. B. dass jeder Fünfte in Deutschland schon einmal seinen Hausarzt oder Psychiater konsultieren musste, und zwar aus rein seelischer Not heraus). Aber was ist es dann, was die Psychiater so „anders“ machen soll? Die Antwort scheint einfacher, als gemein hin zugestanden: Es ist die Zielgruppe psychiatrischer Tätigkeit, nämlich die psychisch Kranken, zumindest Gestörten, zumeist aber wohl die „Geisteskranken“, wie man früher verallgemeinernd alles bezeichnete, was psychisch irgendwie auffiel. Dabei will man gar nicht die seelisch Betroffenen diskriminieren, auch wenn sie einem zumindest in Einzelfällen durchaus „unheimlich“ werden können (siehe Medien-Berichte). Es handelt sich im Volks-Empfinden zumeist um „arme Menschen“, von einer Krankheit heimgesucht, die halt keiner zu verstehen vermag. Ein Beinbruch ist ein Beinbruch, ein Herzinfarkt oder Hirnschlag ist schon schwieriger einzustufen, aber eine Schizophrenie ist völlig unverständlich und unter einem Alkoholiker versteht man eher einen „Stadtstreicher“ als den Herrn Direktor, obgleich Letzterer im Krankheitsfall vermutlich genau so (zu)viel konsumiert wie ein „armer Teufel von der Straße“ (Zitat). Kurz: Seelische Krankheiten sind den meisten irgendwie unheimlich; psychisch Kranke letztlich auch (zumindest die Mehrzahl jener, die dann halt auch öffentlich auffällt). Und das alles färbt dann wohl oder übel auch auf den zuständigen Arzt ab, den früher so genannten Seelenarzt, späteren Nervenarzt (Neurologie und Psychiatrie, sprich: Nerven- und Gemütskrankheiten) - und den heutigen Psychiater. - Was denkt man also über einen Psychiater und sein Tätigkeitsfeld? Das wäre schon eine Befragung wert. Davon gibt es allerdings wenige, vor allem keine aus der so genannten psychiatrischen Versorgungsforschung der letzten Jahre. - Und was macht ein Psychotherapeut? Das scheint noch schwieriger konkret zu umschreiben. Zwar nicht nur in der Allgemein-Bevölkerung, auch in „besseren Kreisen“, bei Akademikern jeglicher Berufsgruppe, ja sogar bei Ärzten. Ist ein Psychotherapeut der Seelenarzt für leichtere Fälle psychischer Not? Ist es überhaupt ein Arzt? Und wenn nicht, welche Berufsgruppen fühlen sich dann außerhalb ärztlicher Tätigkeit für das Seelenheil psychosozial belasteter, seelisch gestörter oder psychisch kranker Mitmenschen zuständig? Das ist – wie erwähnt – nun ein wahres „Buch mit sieben Siegeln“. Hier mehr in Erfahrung zu bringen, beispielsweise durch eine repräsentative Untersuchung, wäre durchaus lohnend. Doch auch hier finden sich so gut wie keine wissenschaftlich fundierten Erhebungen in letzter Zeit. Da wundert es einen nicht, ja, es scheint sogar konsequent und zwingend, dass sich ausgerechnet eine Experten-Gruppe dem Meinungsbild der Wiener Bevölkerung annimmt. Denn diese Großstadt ist ja – neben einer Reihe anderer bedeutsamer Aspekte zum Thema – die Wirkstätte bedeutender Seelenärzte und vor allem der „Geburtsort der Psychoanalyse“ durch Professor Dr. Sigmund Freud. Und so versuchten einige Psychiater mit entsprechendem Interesse und vor allem Erfahrung im Rahmen einer Telefon-Befragung der Wiener Bevölkerung mit Hilfe eines voll-strukturierten Interviews zu gezielten Erkenntnissen zu kommen, was die Allgemeinheit über die Tätigkeit eines Psychiaters bzw. Psychotherapeuten weiß – oder auch nicht.
Was ergibt sich nun aus der Zufalls-Stichprobe im Jahr 2009 an insgesamt 1.205 befragten Personen aus der Allgemein-Bevölkerung der Stadt Wien? - Fast allen Befragten fiel dazu etwas ein. Allerdings wusste etwa jeder Zehnte keine Antwort darauf. Dies gilt für den Psychiater wie für den Psychotherapeuten gleichermaßen. - Dass beide Berufsgruppe Ähnliches wenn nicht das Gleiche machen, wurde genauso häufig konstatiert wie auf die Unterschiedlichkeit ihrer Arbeit verwiesen. Dabei gab es jedoch offenbar charakteristische Gewichtungen. Im Einzelnen: - Das am stärksten hervorstechende Merkmal der Behandlung durch den Psychiater ist in den Augen der Befragten, dass dieser „hauptsächlich“ oder „nur“ mit Medikamenten arbeite. Das fällt fast jedem 5. Befragten dazu ein. Seltener wird erwähnt, dass die psychiatrische Behandlung in einer Kombination aus Gesprächen und Medikamenten besteht. Schließlich wird wiederholt darauf hingewiesen, dass die medizinische Behandlung ausschließlich in den Händen des Psychiaters liegt (für den medizinischen Bereich zuständig). Ähnliches gilt für die Diagnose, die eher Domäne des Psychiaters ist. - Dagegen liegt der Schwerpunkt der Behandlung durch den Psychotherapeuten in den Augen der Befragten eher im Gespräch mit dem Patienten, in der Durchführung einer Gesprächstherapie bzw. einfach „Therapie“ ohne genaue Konkretisierung. Spezifische Therapieformen wie Psychoanalyse, Verhaltenstherapie oder Gruppentherapie wurden hingegen nur selten erwähnt. Am ehesten noch Entspannungsübungen, die auch in das Ressort der Psychotherapeuten fallen. - Was die Vorgehensweise bei der Behandlung betrifft, so gibt es ebenfalls Schwerpunkte: So soll es vor allem die Aufgabe des Psychiaters sein, die Krankheits-Analyse vorzunehmen, also „warum ein Mensch in diese Lage gekommen ist“, d. h. „in die Tiefen der Seele vorzudringen“, dem „Problem auf den Grund zu gehen“, „die Ursachen der Krankheit zu erforschen“ u.a.m. Oder noch konkreter: „Vergangenes wird aufgeschlüsselt“, „die Kindheit und das Unterbewusstsein werden hinterfragt“ (wobei der irrtümliche Begriff Unterbewusstsein für den Fachbegriff des Unbewusstsein gebraucht wird, wie üblich, selbst in Akademiker-Kreisen). - Bei Psychiatern wie bei Psychotherapeuten ähnlich häufig findet sich allerdings der Hinweis, dass sie den Patienten zuhören („so wie ein Seelsorger“), „sich ihre Leidensgeschichte anhören“. Das ist die Grundlage beider Berufsgruppen. Sie würden mit den Patienten sprechen, stellten Fragen und würden Ratschläge geben. - Es sind dann aber doch besonders die Psychotherapeuten, die nach Ansicht der Allgemeinheit gemeinsam mit dem Patienten die Ursache der Störung zu finden und das Problem gemeinsam zu bewältigen suchen (er begleitet auf dem Weg zur Lösung, hilft bei der Suche, sagt nicht nur was man hat, sondern lässt auch den Patienten sprechen und begleitet ihn bis zur Genesung). Psychotherapeuten – und das scheint in der Laien-Vorstellung dann doch der entscheidende Unterschied zu sein –, gingen oft einen anderen Weg als Psychiater. Sie versuchten mit anderen Mitteln zu helfen, arbeiteten eher integrativ und würden eher bemüht sein, die ganze Person zu sehen. Auch würden sie weniger oder gar keine Medikamente geben und auf diese Weise versuchen, „die Krankheit sanft zu lösen“. Mit anderen Worten: Die Behandlungsangebote beider Berufsgruppen richten sich nach Ansicht der Allgemeinheit an unterschiedliche Zielgruppen: Psychiater seien eher für die Behandlung „schwererer“, „härterer“ oder „gröberer“ Störungen zuständig. Sie behandelten „wirklich kranke Menschen“ und nicht solche, die „nur seelische Probleme“ hätten. Deshalb böten sie die „schärfere Form der Behandlung“. In ihr Ressort würden deshalb auch „Erkrankungen fallen, die nicht nur die Psyche betreffen, sondern auch den Körper und das Gehirn“. Sie behandelten auch organisch bedingte psychische Störungen, so die Untersuchungs-Ergebnisse der Wiener Psychiater selber. Zielgruppe der Psychotherapeuten seien dagegen die leichteren Fälle, Neurosen oder Persönlichkeitsstörungen und nicht so sehr Psychosen. Psychotherapeuten seien eher „Lebensberater“, „Ansprechpartner für Lebenssituationen“. Sie kümmerten sich mehr um Kinder- und Erziehungsfragen, auch um Eheprobleme. Sie seien „mehr für die Seele zuständig“, wie es die befragten Laien öfter ausdrückten. - Relativ häufig wurde in dieser Untersuchung darauf hingewiesen, dass ein Psychiater nur ein Arzt sein könne, jemand mit einer medizinischen Ausbildung. Er sei Facharzt, ja Neurologe (der frühere Nervenarzt hatte eine psychiatrische und zugleich neurologische Ausbildung). Ein Psychiater hätte eine „klinische Ausbildung, die viel mit Pharmazie zu tun hat“, sei auch „forschungsmäßig unterwegs“, verfüge über eine längere und „wesentlich höhere Ausbildung“ als ein Psychotherapeut. Psychotherapeuten seien dagegen keine Mediziner, sie hätten kein Studium absolviert, besäßen keine Doktortitel. Sie hätten dafür eine andere, spezielle Ausbildung, so eine häufige Antwort. Psychiater verfügten deshalb über mehr Kompetenzen als Psychotherapeuten. So dürften nur sie Medikamente verschreiben oder Patienten in die Klinik einweisen. Psychotherapeuten machten „Behandlungen nach Angaben der Psychiater“, „führten das aus, was der Psychiater empfiehlt“, so manche Laien. Beurteilung der verschiedenen Tätigkeiten Die Antworten der Befragten beschränkten sich oftmals nicht nur auf eine reine Beschreibung der Tätigkeit beider Berufsgruppen. Sie brachten auch häufig die persönliche Einschätzung zum Ausdruck, so die Experten A. Holzinger, H. Matschinger, V. Drexler und M. C. Angermeyer. - Dabei fällt das Urteil über Psychotherapeuten deutlich positiver aus. So wird besonders häufig zu ihren Gunsten ins Feld geführt, dass sie mehr auf die Patienten eingehen und sich mehr Zeit für sie nehmen würden. Der Psychotherapeut „setze sich eher mit den Problemen der Patienten auseinander, er hinterfrage, er beschäftige sich intensiver mit ihnen“. Auch gehe er mehr auf das „Private“, auf die „Seele“, auf das „Menschenbild“ ein. Deshalb würde er nicht so schnell Medikamente verschreiben. Er schaue sich eher das Umfeld an, wie es dazu kommen konnte, bevor man zu Medikamenten greifen muss. Die Behandlung durch den Psychotherapeuten sei „sanfter“, ja „menschlicher“, die „therapeutischen Maßnahmen seien rücksichtsvoller, damit man keine Angst haben müsse“ usw. Ein Befragter sagte: „Der Psychotherapeut ist für mich die softere Variante vom Psychiater“. Oder ein anderer: „Der Psychotherapeut geht mehr auf die normale Verarbeitung der Probleme ein. Der Psychiater sagt eher, der muss in die Klinik.“ Oder noch konkreter: Der Psychotherapeut behandle einen „praktischer“, habe mehr „praktische Alltags-Ratschläge, bringe mehr Brauchbares für den Betroffenen“, „sehe alles in einem eher praktischen Zusammenhang, sei lösungs-orientierter“ usw. Das hört sich gut an, kann aber auch Nachteile enthalten. Beispiele: Der Psychotherapeut „arbeite oberflächlicher“, „nicht ganz so in die Tiefe gehend“, „versuche weniger den Grund herauszuarbeiten, eher alles wieder glatt zu streichen“. Noch schärfer die Kritik: „Nur Gespräche“, „Reden, sonst nichts“. Und am Schluss die dann doch begrenzte Kenntnis über die jeweiligen Ausbildung: Der Psychotherapeut habe „gar kein Studium aufzuweisen“, nur „ein Lehrgang“. Oder noch direkter: „Psychotherapeut kann jeder werden“, sogar der „selbst-ernannte Heiler“. - Im Gegensatz zum Psychotherapeuten, der eben auch mit einer Reihe von Fehl-Einschätzungen zu ringen hat, wird die Arbeit des Psychiaters letztlich eher negativ als positiv beurteilt, so die untersuchenden Psychiater selber. Die Kritik ist harscher, der Ton oft abfälliger („Seelenklempner“). Ein besonderes Spezifikum der Wiener Situation im Gesundheitswesen sind die hohen Kosten, die beim Psychiater anfallen (Einzelheiten dazu siehe unten) und die in keinem Verhältnis zum Nutzen der Behandlung stünden. Immer wieder auftauchende Kritikpunkte, die auch auf andere deutschsprachige Regionen übertragbar sind, lauten jedoch: Psychiater gehen zu wenig auf die Problematik des Einzelnen ein (hinterfragt weniger die wirklich relevanten Dinge, geht eher nach Schema F vor). Oder dass die Wünsche der Patienten nicht ausreichend respektiert werden. Oder – wie erwähnt positiv oder negativ interpretierbar – würden nur Medikamente verschreiben, gegen Schlaflosigkeit, zur Beruhigung, gegen Depressionen. Obgleich die angeführten Störungen ja nun sehr qualvoll sein können, sind und bleiben offenbar Psychopharmaka ein suspektes Instrument, das eben ausschließlich dem Psychiater vorbehalten ist. Das geht bis zu dem Rat, Psychiater zu meiden, da sie ja ohnehin nur Medikamente verschreiben würden. Und es kann sich in sehr harten Urteilen entladen, selbst bei jenen, die bisher noch keinen Psychiater konsultiert haben. Beispiele: abraten, verbinde damit nichts Gutes, unseriös, suspekt, komische Fragen, sonderbares Verhalten, der Beruf erschreckt mich, kein Vertrauen u. a. Und ein weiterer Aspekt, der den erwähnten Schweregrad betrifft, den beide Berufsgruppen zu behandeln haben, zusammengefasst in dem Satz: „Bedeutet für mich eine letzte Station“. Dies einerseits im übergreifenden Sinne, andererseits auch als letzte ambulante Behandlungsmöglichkeit, bis dann doch noch die Einweisung in eine psychiatrische Klinik notwendig wird, überwiesen vom Psychiater. Kurz: Das Meinungsbild enthält einige wenige positive Aspekte wie fundierte Ausbildung, „mehr Fähigkeiten“ und auch „die körperlichen Funktionen kennend“ – aber das verschwindet fast hinter der Kritik, die dann schon sehr direkt herüberkommen kann, so die Autoren selber. Zusammenfassung der beiden Polaritäts-Profile Zwar gibt es Überlappungen in der Vorstellung über die Tätigkeit eines Psychiaters und eines Psychotherapeuten, doch kristallisiert sich auch eine Reihe von unterschiedlichen Aspekten heraus. Diese werden von A. Holzinger, H. Matschinger, V. Drexler und M. C. Angermeyer von den Psychiatrischen Universitätskliniken Wien und Leipzig wie folgt gegenübergestellt:
- Medikamente versus Gespräche - Körper versus Seele - Krankheit versus „Probleme“ - Routine versus individuelle Behandlung Dabei fällt eines auf: Das Bild vom Psychotherapeuten ist relativ einheitlich. Das vom Psychiater eher widersprüchlich: Auf der einen Seite der „Pillenverschreiber“, der rasch mit Medikamenten zur Hand ist und weniger auf die Probleme des einzelnen Patienten eingeht. Auf der anderen Seite der „Analytiker“, der „Tiefenforschung“ betreibt, der „die Seele zerlegt“ – und dabei einem irgendwie ungeheuer ist. Die Experten führen das auf das durchaus breite Spektrum der modernen psychiatrischen Tätigkeit zurück: Zum einen der mehr biologisch orientierte Mediziner, zum anderen der eher psychoanalytisch arbeitende „Seelenarzt“. Spezifisch österreichischer oder gar Wiener Einfluss? Die auf diesem Forschungsgebiet erfahrenen, versierten und deshalb auch (selbst-)kritischen Experten wissen um die vielen Fußangeln, die selbst repräsentative Untersuchungen im Allgemeinen und psychologische oder gar psychiatrische Themen im Speziellen betreffen. Und die deshalb zur Zurückhaltung in der Interpretation der gewonnenen Erkenntnisse mahnen. Daher auch die nicht uninteressanten Aspekte, die einerseits aus österreichischer Sicht (z. B. Gesundheitswesen), andererseits aus der besonderen Konstellation der Stadt Wien erwachsen könnten. So geben sie im Einzelnen zu bedenken: Als Erstes: Wien ist nicht Österreich und Österreich ist nicht Wien, so dass nicht selten zu hörende Argument sowohl aus der Hauptstadt als auch den anderen Bundesländern. Und dies nicht nur wegen Größe, Region, politischem, kulturellem und wirtschaftlichem Einfluss; es hat auch etwas mit der jeweiligen Mentalität zu tun. Hier spielt sogar die Gesundheit eine Rolle bzw. gesundheits-politische Aspekte. Und eine „Portion Geschichte“. Denn Wien – so die Historiker – war vor rund 100 Jahren nicht umsonst der Geburtsort der Psychotherapie im Allgemeinen und der tiefenpsychologisch-analytische Verfahrensweise im Speziellen. Oder wie mancher sogar meint: Sigmund Freud ist ohne Wien zur damaligen Zeit undenkbar. Auf jeden Fall geben auch die Autoren dieser Untersuchung zu: „Es fällt auf, wie stark das Bild des Psychiaters, aber auch des Psychotherapeuten, von der Psychoanalyse geprägt wird.“ Überraschend ist es allerdings trotzdem, weil die Psychoanalyse in der Versorgungs-Realität nur eine nachrangige Rolle spielt, und zwar sowohl früher wie heute. Für die Experten bleibt es deshalb offen, inwieweit es sich hier um ein lokales Phänomen handelt, d. h. wie stark sie im Bewusstsein der Wiener Bevölkerung verankert ist (wobei in dieser Umfrage 85% schon einmal von der Psychoanalyse gehört hatten, in Deutschland gerade mal 4%). Einige weniger historisch-romantische Erklärung findet sich in den unterschiedlichen Ausbildungs-Betonungen. Wir erinnern uns: Die Ausbildung wird beim Psychiater als fundierter bezeichnet. Das mag mit der besonderen Situation in Österreich zu tun haben, „wo die Zugangs-Schwelle zur professionellen Ausübung der Psychotherapie vergleichsweise niedrig ist“. In Österreich sind neben Medizinern und Psychologen auch Pädagogen, Krankenschwestern, Sozialarbeiter u. a. zur Ausübung von Psychotherapie berechtigt. Deshalb sollen in Österreich nur zwei Drittel der Psychotherapeutinnen und drei Viertel der Psychotherapeuten über eine akademische Ausbildung verfügen, so die Wiener Autoren selber. Ein weiterer Vorwurf, der in dieser Untersuchung den Psychiatern gemacht wurde, waren die hohen Behandlungskosten der Seelenärzte. Darüber können die verbitterten Psychiater und Nervenärzte in Deutschland nur lachen. In Wien aber stehen für die ambulante psychiatrische Versorgung neben den Spital-Ambulanzen und dem Psychosozialen Dienst der Stadt Wien lediglich 23 niedergelassene Vertragsärzte für diese Millionenstadt zur Verfügung, bei denen die erbrachten Leistungen voll durch die Krankenkassen gedeckt werden. Die gewaltige Rest-Aufgabe nimmt dann aber eine Vielzahl von so genannten Wahl- oder Privat-Ärzten wahr, bei denen ein mehr oder weniger großer Anteil der Kosten von den Patienten selbst aufgebracht werden muss – mit entsprechenden Ärger-Reaktionen („Gibt mir gute Ratschläge und nimmt mir das Geld aus der Tasche – und dann gehe ich nach Hause und bin genauso gescheit wie vorher“). Das ist nun in der Tat eine besondere Konstellation. Erstaunlicherweise beklagten sich aber die Befragten nie über die Kosten der Behandlung durch einen Psychotherapeuten, obgleich hier ein ungleich höherer Anteil von den Patienten selber getragen werden muss, so die Psychiater. Wo aber liegen nun in der Tat die tieferen Gründe des schlechteren Image von Psychiatern? Einer davon ist nicht von der Hand zu weisen. Nämlich dass Psychiater eher mit der psychiatrischen Klinik in Verbindung gebracht werden, sowohl von der Weiter- und Fortbildung her als auch durch den mitunter unumgänglichen Schritt einer notwendigen Einweisung in diese Fachkliniken. Deren Notwendigkeit wird nun zwar nicht bestritten, doch das Ansehen psychiatrischer Kliniken arbeitet sich offenbar nur langsam aus dem früheren Image-Tief („Schlangengruben“) zur objektiven Qualität einer spezialisierten Fachklinik empor. Und das schlägt auf die niedergelassenen Psychiater zurück. Das Gleiche gilt für das negative Stigma, das vor allem schwer psychisch Kranken mit auffälligem Leidensbild anhaftet – und ebenfalls auf die Behandelnden abfärbt. Das Wort „Abfärben“ hat ja in diesem Fall ohnehin eine zusätzliche Bedeutung, wie die zahlreichen Witze über Psychiater beweisen. Schließlich könnte eine Rolle spielen, dass Psychiater nicht nur als professionelle Helfer wahrgenommen werden, denen man sich mit seinen Problemen anvertrauen kann, sondern auch als Repräsentanten staatlicher Kontrolle. Denn von ihnen gehen ja nicht wenige Zwangsmaßnahmen gegen den Willen der Betroffenen aus (was auch Hausärzte u. ä. wahrnehmen können, häufig aber beim Psychiater „hängen bleibt“). Schlussfolgerung Sehr ausführlich gehen die Experten auf die methodischen Grenzen ihrer Untersuchung ein. Einzelheiten dazu siehe die Hinweise in der Fachzeitschrift Psychiatrische Praxis. Deshalb auch die selbstkritische Einschränkung, dass letztlich keine quantitativen Aussagen möglich sind, z. B. in welchem Ausmaß die verschiedenen Tätigkeits-Aspekte das Bild beider Berufsgruppen in der Öffentlichkeit tatsächlich bestimmen. Die Resultate sind trotzdem interessant, ja wegweisend. Und sie decken sich auch durchaus mit Teil-Aspekten aus früheren und sogar aktuellen Untersuchungen, auch wenn sich die Fragestellungen nicht so direkt bezüglich Psychiater und Psychotherapeuten gedeckt haben. Auch dürfte sich Wien letztendlich nicht so weit vom Meinungsbild anderer Städte, vielleicht sogar ländlicher Gemeinden entfernt sehen. Im Kern ist wohl an der Zweiteilung des Allgemein-Urteils kaum zu rütteln. Die österreichischen Experten diskutieren noch die Frage, ob die in Deutschland schon längere Zeit gängige Berufsbezeichnung (und entsprechende Ausbildung) zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie die negativen Assoziationen mit „Psychiater“ eher zu neutralisieren vermögen. In Österreich gibt es diese Kombination erst seit kurzem. Gleichwohl empfehlen Frau Professor Dr. Anita Holzinger und ihre Autoren-Kollegen als Konsequenzen für Klinik und Praxis: - Eine differenzierte Information des Laien-Publikums über die Tätigkeitsbereiche von Psychiatern und Psychotherapeuten würde die Suche nach geeigneter Hilfe erleichtern. - Speziell Psychiater sollten vermehrt Anstrengungen unternehmen, die ihr Image beim Laien-Publikum verbessern. Diese Thesen dürften so manche kontroverse Diskussion anregen (um nicht zu sagen „anheizen“). Ob sie deshalb so völlig unzutreffend sind, bleibt eine offene Frage. In früheren Diskussionen wurde das mit zwei Begriffen umschrieben, die da lauteten: Der Hol-Schuld in der Allgemeinheit (sprich: der echte Wille zur objektiven Information) steht auch eine „Bring-Schuld“ der entsprechenden Fachleute gegenüber. Und die wird dann allerdings von mehreren Seiten als noch ausbaufähig bezeichnet. Dies vor allem für allgemein-verständliche(!) Informationen zu den verschiedenen Leidensbildern seelischer Störungen, die nebenbei auch mehr Irritationen seitens des Umfelds auslösen als die meisten Krankheiten sonst. Vorurteile sind auch Urteile. Und wenn sie nicht zutreffen, dann muss man ihnen durch Aufklärung, d. h. einen verbesserten Kenntnisstand begegnen. Dies vor allem dann, wenn es sich um Krankheiten im Allgemeinen und seelische Störungen mit ihren besonderen Nöten und psychosozialen Konsequenzen handelt. Und die – das sei zum Abschluss betont – sehr differenzierte Therapie-Strategien erfordern, die ein so breites Aufgaben-Spektrum voraussetzen, das dem nur Psychiater und Psychotherapeuten gemeinsam zu begegnen in der Lage sind. Literatur Sehr wichtiges und für eine wachsende Zahl von Betroffenen bedeutsames Thema, dem aber nur relativ wenige konkrete Untersuchungen, insbesondere zu diesem spezifischen Aspekt gegenüber stehen. Einzelheiten siehe die entsprechende Fachliteratur sowie das Publikations-Verzeichnis im erwähnten Fachbeitrag. |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |