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S. Kasper, H.-J. Möller (Hrsg.):
Herbst-/Winterdepression und Lichttherapie
Springer-Verlag, Wien-New York, 2004. 355 S., zahlreiche Abb. und Tab., € 89,00.
ISBN 3-211-40481-3

Winterdepressionen oder gar Herbstdepressionen – noch vor wenigen Jahren hätten die meisten Ärzte einschließlich der Psychiater in Mitteleuropa mit diesen beiden Begriffen wenig anzufangen gewusst. Etwas besser mochte es um die Lichttherapie bestellt sein, aber gesamthaft gesehen handelt es sich hier um ein neues Phänomen, das aber bekanntlich gar nicht neu (und schon in der Antike beschrieben worden) ist.

…süß aber ist das Licht, und für die Augen ist es gut, die Sonne zu schauen“ (Altes Testament, Kohelet, Kapitel 11, Vers 7).

Die ersten systematischen Beschreibungen über die Herbst- und Winterdepressionen gehen schon auf den Anfang des 19. Jahrhunderts zurück, einschließlich Lichttherapie (Wintertourismus in südliche Gefilde). Ansonsten aber fand sich vor allem in den klassischen Lehrbüchern wenig über jahreszeitliche Schwankungen oder das, was man heute Saisonalität nennt. Das begann erst Anfang der 80er Jahre durch Einzelfallbeschreibungen und die Erforschung des lichtsensitiven Hormons Melatonin.

Inzwischen ist die Saisonal Abhängige Depression (SAD: engl. = Saisonal Affective Disorder) eines der wichtigsten Forschungsthemen der letzten Zeit geworden, nicht zuletzt unter dem Druck einer wachsender Zahl von Betroffenen. Denn jetzt – rückblickend – erinnern sich nun doch viele Ärzte daran, dass es nicht bloß die trüben November-Wochen sind, die seit jeher vielen Menschen zu schaffen machen, sondern der ganze „lichtarme“ Winter bis hinein in den Frühjahrsbeginn, wo sich sogar tragische Suizidversuche und vollendete Selbsttötungen zu häufen pflegen. Und der (unerhörte) Klageruf vieler Ärzte in ohnehin licht-armen Regionen (z. B. vom tiefen winterlichen Sonnenstand betroffene Bergtäler), die über ein bedrückendes Stimmungstief ihrer Patienten berichten, das sich erst wieder im späten Frühjahr und Sommer aufzuhellen pflegt.

Diese unglückliche Sonderstellung ist längst einer allgemeinen, wenn auch milderen Depression in der dunklen Jahreszeit gewichen. Inzwischen soll es fast niemand mehr geben, der nicht saisonale Veränderungen von Stimmung und Befindlichkeit bemerkt. Sie sind aber in der Regel so gering ausgeprägt, dass man sie nicht als Erkrankung wertet (im Einzelfall allerdings schon – s. u.). Die Häufigkeit variiert – je nach Land bzw. Breitengrad zwischen einem Prozentsatz hinter dem Komma und fast zweistelligen Zahlen, im Mittel etwa 5%. Frauen scheinen häufiger betroffen (wie bei Depressionen generell). Daneben existiert auch eine Sonderform mit einem Beschwerdemaximum in der warmen Jahreszeit (s. u.), die zum Teil noch deutlich mehr Patienten betreffen soll. Und wenn beides zusammenfällt, dann reiche dies bis an ein Viertel der Bevölkerung heran.

Das Beschwerdebild

Das Beschwerdebild der Herbst-/Winterdepression erfasst vor allem Störungen des Antriebs bis zur Energielosigkeit und eine wenn auch mildere depressive Stimmungslage (fast alle Betroffenen, wobei die Leidensintensität im Verlaufe der Herbst- und Winter-Monate sukzessiv steigt). Dazu kommen Tagesmüdigkeit und vermehrtes Schlafbedürfnis sowie Angstzustände. Zwei Drittel zeigen auch vermehrten Appetit, vor allem einen Heißhunger auf kohlenhydratreiche Nahrung (Nudelgerichte, Süßigkeiten). Viele klagen auch über eine erhöhte Irritabilität, eine Reduktion ihrer Libido und eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit, besonders am Arbeitsplatz. Nicht selten sind auch sozialer Rückzug und beim weiblichen Geschlecht eine Verstärkung der prämenstruellen Beschwerden.

Der entscheidende Unterschied zur „normalen“ Depression ist also mehr Appetit und Gewichtszunahme statt Appetitlosigkeit und Gewichtsabfall sowie mehr Schlafbedürfnis (wenngleich unerquicklich) statt Schlafstörungen. Die übrigen Symptome sind im Wesentlichen gleich.

Auch die Sommer-Depression ist nicht neu (schon Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben). Dabei sollen Sommer- und Winter-Tiefs ganz unterschiedliche Symptome auslösen, d. h. im Sommer handelt es sich meist um ein „depressions-typisches“ Beschwerdebild mit Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, vermindertem Schlafbedürfnis sowie innerer Unruhe, Nervosität und Anspannung.

Was kann man tun?

Bei der nun in der Tat an Bedeutung gewinnenden Herbst-/Winterdepression stellt sich natürlich die Frage: Was tun? Hier drängt sich als Erstes die Lichttherapie auf (früher auch als Phototherapie bezeichnet). Als Lichtquelle dient helles, weißes (fluoreszierendes) Licht, das mit Ausnahme des netzhaut-schädigenden UV-Bereichs das gesamte Spektrum des Sonnenlichtes umfasst. Die Intensität (Beleuchtungsstärke) wird in Lux gemessen. Bei der Lichttherapie sollte man nicht unter 2.500 Lux bleiben (inzwischen spricht man von rund 10.000 Lux als Standard in der klinischen Praxis). Der antidepressive Effekt tritt in der Regel innerhalb der ersten zwei bis vier Behandlungstage ein. Der Erfolg – zwischen 60 und 90% - ist erfreulich, die Nebenwirkungen sind gering. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass ein täglicher „Gesundmarsch bei Tageslicht“ nicht unter einer halben Stunde mögli­cherweise nicht den gleichen, aber doch einen erfreulichen Erfolg zeigt, und das in eigener Initiative und an frischer Luft.

Eine umfassende Übersicht

Angesichts der wachsenden Bedeutung dieser Sonderform der Depression gab es zwar schon immer Einzel-Publikationen, aber keinen umfassenden Sammelband, der praktisch alle Aspekte beleuchtet. Dieser Wunsch ist inzwischen erfüllbar, ausgehend von den zwei großen, in dieser Forschungsrichtung aktiven psychiatrischen Kliniken in Wien und München: S. Kasper und H.-J. Möller (Hrsg.): Herbst-/Winterdepression und Lichttherapie. Springer-Verlag, Wien-New York 2004.

Was wird geboten? Historische Aspekte (da kann man nur staunen, nichts ist neu in der Seelenheilkunde), Symptomatik, Epidemiologie (Häufigkeit), die Herbst-/Winter-, aber auch die Sommer-Depression (internationaler Fachbegriff wie erwähnt: Saisonal Affective Disorder – SAD = Saisonal abhängige affektive (Gemüts-)Störung), wissenschaftliche Hilfen (z. B. Rating-Skalen) u. a. Dann die Lichttherapie (mit Unterkapiteln für Jet-lag, Schichtarbeit, bei Kindern und Jugendlichen, Sicherheitsaspekte usw.). Und wenn es die Lichttherapie allein nicht schafft? Dann die Kombination mit Schlafentzug, Psychopharmaka (meist Antidepressiva) und ggf. der transkraniellen Magnetstimulation (bei der sehr starke Magnetfelder praktisch verlustfrei durch den Schädel hindurchgeleitet werden und in dem darunter liegenden Hirngewebe Ströme induzieren, nach Ansicht der Experten eine Therapieform der Zukunft).

Interessant auch die Kapitel über die Psychobiologie der Herbst-/Winterdepressionen: Circadiane und saisonale Rhythmen der Befindlichkeit, hormonelle, neurochemische, molekularbiologische Untersuchungen, die Hinweise aus dem Schlaflabor u. a.

Den Abschluss bilden praktische Fragen, die erwähnten diagnostischen Skalen und Fragebogen, Adressen von Herstellern und Vertrieben von Lichttherapiegeräten, von Behandlungszentren für Lichttherapie (mehr als 60 in Deutschland, rund zwei Dutzend in Österreich und der Schweiz). Außerdem ein leistungsfähiges Sachverzeichnis.

Der Preis ist nicht gering, doch der Informationswert ist auch hoch, und dies auf einem Gebiet, dem ganz offensichtlich die Zukunft gehört (die steigenden Zahlen der Betroffenen und die entsprechende Reaktion der Medien beweisen es). In diesem Falle ist auch die Medizin gerüstet, wie die Vielzahl der Experten und Fachkliniken beweist, die sich mit einem Problem beschäftigten, das schon im 2. Jhr. v. Chr. Im Bezug auf das wohl auffälligste Symptom beschrieben wurde, nämlich das „Lethargier in das Licht gelegt und den Strahlen der Sonne exponiert werden sollen (weil die Krankheit die Düsternis ist)“. Oder wie einige Jahrhunderte später formuliert wurde: „Weil die Sonne das stärkste natürlich vorkommende Therapeutikum für Melancholie ist“ (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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