Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
DEUTSCH ZUM DENKEN?Kreativität ist nur in der Muttersprache möglich Führt die derzeitige Anglomanie zur Mystifizierung der englischen Sprache und die deutsche Wissenschaft in die Zweitrangigkeit?
Zu aller Zeit und in aller Welt gab es Sprachen, die andere Sprachen dominierten, die zur bevorzugten Kommunikation wurden, meist aus wirtschaftlichen, aber auch kulturell-gesellschaftlichen, politischen oder gar militärischen Gründen. Solche "weltweit" verbindenden Sprachen gab es - wie gesagt - in allen Erdteilen, auch wenn wir Europäer der Meinung sind, es können nur (Alt-)Griechisch, Lateinisch, später Französisch und heute Englisch sein (da wir zu wenig über die früheren Sprach-Dominanzen im Nahen oder Fernen Osten, in den mittel- und südamerikanischen Groß-Reichen u. a. wissen). Eines aber ist in allen Fällen klar: Eine dominierende oder gar "Welt-Sprache", auch lingua franca, also international geltende Verkehrssprache genannt, hat diese Position nicht ohne Grund erreicht. Sie muss unbestreitbare Vorteile haben, und zwar nicht nur wirtschaftlich, kulturell oder politisch, auch philologisch (also sprachwissenschaftlich gesehen). Einzelheiten darüber würden hier zu weit führen, sind aber schon dadurch bewiesen, dass man auch heute noch - wenngleich immer seltener - das "alte" Griechisch und Latein lernen kann, dass die wohllautenden Sprachen Französisch, Spanisch und Italienisch wieder vermehrt Anhänger finden und dass Englisch inzwischen die weltweit wichtigste Sprache geworden ist (teils wirtschaftlich, teils politisch, teils aber auch sprachlich bedingt; Deutsch beispielsweise lässt sich viel schwieriger erlernen als Englisch). Und dieses Englisch ist es auch, das den kritischen Inhalt dieses Beitrags bestimmt. Denn es geht um die Frage: Kann man in einer fremden Sprache, und sei sie noch so wichtig für die internationale Kommunikation, genauso kreativ und damit effektiv denken wie in der eigenen, der Muttersprache? Grundlage sind die lesenswerten Beiträge von - Prof. Dr. Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik der Universität Dortmund: Anachronistisch oder lebensnotwendig? Ein Plädoyer für Deutsch als Wissenschaftssprache in der Hochschul-Zeitschrift Forschung & Lehre 10/2002 sowie - Prof. Dr. Ralph Mocikat, Professor für Immunologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München: Ein Plädoyer für die Vielfalt. Die Wissenschaftssprache am Beispiel der Biomedizin. Forschung & Lehre 2/2007 Die vorsichtige (Erst-)Antwort lautet: Möglicherweise ja, wenn der Betreffende beide Sprachen gleich gut beherrscht. Doch auch dies ist zu hinterfragen. Denn zwei Sprachen heißt auch zwei Kulturen, die in die Entwicklung dieses Menschenlebens eingegangen sein müssten, und die sind selten so deckungsgleich, dass es nicht "innerseelische" und damit geistige zwiespältige Situationen zu bewältigen gilt. Jeder mit einigermaßen kritischer Beobachtungsgabe, der mit solchen zwei- oder mehrsprachig aufgewachsenen Menschen näheren Kontakt hat, und deren Zahl nimmt ja im Rahmen der allgemeinen Globalisierung ständig zu, wird dies - zumindest nach einiger Zeit der Beobachtung - auch bestätigen können. Oberflächlich gesehen gibt es hier zwar keine Probleme. Bei einer Art "mittel-tiefen Kommunikation" werden hingegen schon mehr Defizite deutlich, wohl auch von den Betreffenden so empfunden und artikuliert, sofern sie selber ausreichend selbstkritisch sind. Und das sind - wie gesagt - jene Menschen, die nun wirklich zweisprachig aufwachsen, zweisprachige Schulen und Universitäten besuchen, zweisprachig ihrem Beruf nachgehen und vermutlich auch noch zu Hause zweisprachige Familieverhältnisse vorfinden. Und dennoch wird sich entweder ein Sprach-Schwerpunkt finden (auch wenn er dem Betroffenen und schon gar nicht seinem Umfeld bewusst ist) oder er wird sich in dem unüberbrückbaren geistigen und emotionalen (gemütsmäßigen!) Zwischenraum zwischen beiden Sprachen und damit Kulturen aufhalten, was aber wohl besagt, dass er in keinem der beiden tiefer einzusteigen vermag. Und wenn es mehr als zwei Sprachen sind, wird das Problem naturgemäß noch unlösbarer. Und das sind - wie erwähnt - die Idealbedingungen, sofern man so etwas als ideal bezeichnen kann. Weit weniger günstig steht es um die überwiegende Mehrzahl jener, die in ihrer Muttersprache und damit eigenen Kultur aufgewachsen sind, erzogen und tätig werden, dazu aber eine oder gar zwei Fremdsprachen lernen, die sie dann auch zumindest "technisch" beherrschen. Und dies heißt in der Regel: beruflich einsetzen und nutzen. Denn wenn man das aus reinem Vergnügen oder zu Urlaubszwecken anwenden will, ist es nicht nur zeitlich begrenzt, sondern meist auch weniger streng erforderlich und damit eher zu einem lockeren Gebrauch verführend, d. h. auch weniger anstrengend. Ein solcher Mehrfach-Nutzen, also Muttersprache plus erlernte und beruflich aktive Fremdsprache(n), ist eigentlich der "tragbare, sinnvolle Idealfall". Das ist die Zukunft und im beruflichen, möglicherweise auch im familiären und Freizeit-Bereich die Norm - wenigstens für alle Nicht-Angelsachsen (also Engländer, US-Amerikaner, Australier, Neuseeländer, Iren und (etwa wie Hälfte der) Kanadier). Denn der englischsprechende Teil dieser Erde pflegt - das ist jedenfalls tägliche Erfahrung - in Sachen Fremdsprachen weniger Engagement an den Tag zu legen wie der Rest der Welt, hat er es doch zum einen kaum nötig und gehört offensichtlich nicht gerade zu jenen Völkern, denen das Erlernen fremder Sprachen möglicherweise etwas leichter fällt (wie man es beispielsweise in Europa den Skandinaviern, Niederländern und neuerdings auch einigen osteuropäischen Völkern nachsagt). Doch das war schon immer so: Vermutlich hielt sich auch die Neigung der alten Griechen, der Römer (bzw. Lateinisch-Sprechenden) und der Franzosen in Grenzen, deren Sprache zumindest in der damaligen "westlichen Welt", also dem "Abendland", tonangebend war. Und auch als Deutsch eines der führenden Wissenschaftssprachen war, besonders für die östlichen Nationen, empfanden auch hier nur wenige das gesteigerte Bedürfnis, russisch, ungarisch u.ä. zu erlernen. Das ist eben so und das gilt es zu akzeptieren. Etwas anderes aber sollte man hinterfragen, weil es schon aus psychologischen oder konkreter neuro-psychologischen Gründen nicht einfach zu übergehen ist - es sei denn, man handelt sich damit folgenreiche Nachteile ein (auch wenn man es nicht bemerkt oder akzeptieren will). Und das ist die schon früher in vielen Sinnsprüchen festgehaltene Erkenntnis:
Das ist vielleicht nicht ganz so folgenschwer, wenn es sich um eine Alltags-Konversation handelt, d. h. eher oberflächliche gesellschaftliche, wirtschaftliche, sportliche, ja sogar wissenschaftliche oder kulturelle Kontakte, die in der Mehrzahl kein tiefer lotendes Verständnis erfordern. Und vor allem kein Gespür für das, was "zwischen den Zeilen" bzw. in den "sprachlichen Nuancen", d. h. geistigen Zwischenräumen aufzuspüren, zu verwerten und als Reaktion umzusetzen wäre. Viel problematischer wird es - so die Experten - wenn man meint, aus Gründen der logischen Konsequenz gleich in einer anderen Sprache denken und schlussfolgern zu müssen, weil man es ja dann letztendlich doch in beispielsweise Englisch publizieren und damit "weltweit" zur Diskussion stellen will. Das aber ist ein Fehler, ein alter Fehler, auf den schon früher kritische Geister, oft selber mehrsprachig, aufmerksam gemacht haben und das auch heute, hier und jetzt angemahnt werden soll. Was heißt das? Deutsch als Wissenschaftssprache - anachronistisch oder lebensnotwendig? Gewiss: Deutsch als internationale Wissenschaftssprache hat in den meisten Fächern keine Zukunft. Die Zeiten, da japanische Mediziner ihre Doktorarbeiten auf Deutsch publizierten oder Russen oder Franzosen auf Mathematiker-Kongressen Deutsch miteinander redeten, sind vorbei. Warum aber sollte die Forschung für Deutschsprachige in ihrer deutschen Muttersprache betrieben, d. h. angedacht, diskutiert und schließlich als Schlussfolgerung vorgestellt werden - zumindest im Status der Entwicklung? Die Antwort ist einfach: Die Muttersprache ist für kreative Arbeit unerlässlich. Kreativ kommt vom lateinischen: creator = Erzeuger, Vater und - interessanterweise - in der weiblichen Rolle: creatrix = Mutter, also gleich alle beiden entscheidenden Lebensspender. Und so heißt kreativ denn auch folgerichtig übersetzt = schöpferisch. Oder noch anregender das Hauptwort: Kreativität = geistige Schöpferkraft, Ideenreichtum. Das formulierte schon der von den Experten nachträglich als einer der bedeutendsten deutschen Dichter eingestufte Heinrich von Kleist (1777-1811, bekanntestes Werk: "Der zerbrochene Krug") treffend so: Wenn Du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich Dir ... mit dem nächsten Bekannten, der Dir aufstößt, darüber zu sprechen". Denn - so Kleist weiter - "durch das Sprechen werden unsere Gehirnzellen gleichsam aufgemischt, beflügelt, zu Höchstleistungen angetrieben - das Sprechen als Türöffner für das Denken."
Das ist übrigens nicht nur für das kreative, sondern auch für das seelisch reinigende Denken (Fachbegriff: Psychohygiene) der wahrscheinlich wichtigste Aspekt. Diesmal zitieren wir einen Arzt, der vor mehr als 2.000 Jahren bemerkte: "Für was du Worte hast, darüber bist du schon hinweg" (Hippokrates). Oder in moderner Fachsprache: "Sprachlichkeit ist Teil des Wissensgeschehens selbst, und der Sprache kommt eine eigenständige gnoseologische Funktion bei der Wissensgewinnung zu" (Gnoseologie = Erkenntnislehre). So ein führender Germanistik-Professor. Und um das Ganze noch einmal kräftig zu untermauern, platzieren wir hier eine Auswahl von Sprichwörtern, die die Sprache und ihre Bedeutung für so viele menschliche Ebenen hervorheben, wie man sich das auf den ersten Blick gar nicht vorstellen kann. Dabei enthalten wir uns jeglichen Kommentars, die meist geschliffenen Aphorismen sprechen für sich.
Doch immer mehr Wissenschaftler in Deutschland meinen, dass man Spitzenwissenschaft nur noch auf Englisch betreiben könne oder gar solle; die alten mit schwindenden Vorbehalten oder gar Schuldgefühlen, die jungen ohne jegliche Bedenken. Doch hier - so die Professoren Krämer und Mocikat - bremst sie ein folgenreicher Trugschluss aus. Denn genau dieses - in der Mehrzahl der Fälle ohnehin fachlich sehr begrenzte - Bestreben (s. o.) trägt dazu bei, dass wissenschaftliche Höchstleistungen erst gar nicht entstehen können, zumindest nicht in jener Form, wie sie optimal nicht nur Deutsche in Deutsch, sondern auch Engländer in Englisch, Russen in Russisch und im Übrigen jede Nation in ihrem eigenen sprachlichen Denkmuster auszudrücken vermögen. Deshalb geht es gar nicht um Deutsch als "internationale", sondern um Deutsch als nationale Wissenschaftssprache. Denn bevor etwas durch Wort oder Schrift verbreitet werden kann, muss es erst einmal entstehen, d. h. muss "angedacht", konzipiert, durchdacht und erörtert, nach allen Seiten abgewogen, schließlich formuliert, korrigiert und ausgefeilt werden, muss im engeren Kollegenkreis diskutiert, zuletzt definiert und klassifiziert werden, und zwar in Deutsch - vorerst. Denn die Muttersprache ist auch als Wissenschaftssprache für jeden in seinem Land und damit Sprach- und Kulturkreis Aufgewachsenen ein Medium, ein Mittler zwischen Geist und Kommunikation mit anderen. Nur in seiner Muttersprache kann man "perfekt" denken, grübeln, Ideen entwickeln, Hypothesen formulieren, Querverbindungen herstellen, Gedankenblitze zünden lassen. Nur die Muttersprache ist das Werkzeug, der Geburtshelfer, der Theorien und Ideen überhaupt erst erlaubt, dass konkrete gedankliche Produkte das Chaos unserer Gehirnzellen in Richtung Umwelt auch sinn-stiftend verlassen können, so W. Krämer. Und weiter: Denn Sprache ist mehr als eine Benutzeroberfläche, mit der unser Denken mit der Umwelt in Verbindung tritt. Sprache ist einer der Motoren des Denkens selber, Sprache ist ein Produktionsfaktor, und diesen Faktor optimal zu nutzen, gelingt den meisten Menschen nur in ihrer Muttersprache. Genauso, wenn auch mit anderen Worten formuliert es Professor Mocikat: Grundsätzlich muss man zwischen der Sprache der Erkenntnis-Gewinnung und der Sprache der Wissens-Weitergabe unterscheiden. In den Naturwissenschaften ist der erste Schritt zur Erkenntnis die averbale, also noch nicht in Worte gefasste Erfahrung. Erst später kommt die sprachliche Fixierung. Und dann bedient man sich zuerst der Mittel der Alltagssprache, die viel leichter neue Begriffs-Definitionen oder -Zusammensetzungen zulässt. Danach könnte eine Hypothese, eine zwar begründete, wenngleich noch nicht bewiesene Annahme folgen, was dann Aufgabe des anschließenden Experimentes wäre. Das Ganze, zu Beginn eher diffus, vage, wird also immer schärfer benennbar, die Begriffe werden konkreter, wozu die eigene Muttersprache, am besten aus dem Alltag, die günstigsten Voraussetzungen liefert. Die ersten Schritte sind also muttersprachlich verwurzelt. Denn die Muttersprache - so Mocikat - hält die Assoziationen, also die gedanklichen Verknüpfungs-Möglichkeiten sowie die Metaphorik (die bildliche Übertragung) bereit, die die nötige gedankliche Schärfe erzwingen. Es ist und bleibt also die Muttersprache, die das präziseste Werkzeug darstellt, das dem kreativen Denken zu Gebote steht. Und die darf keineswegs aus dem Erkenntnisprozess herausgenommen oder - wie es inzwischen bereits der Fall ist - regelrecht ausgeblendet werden. Unter weiter: Jede Sprache strukturiert die Wirklichkeit in spezifischer Weise, sie ist ein Spiegel des Welt-Verständnisses. Noch bedeutsamer wird es für die Wissenschaft, also Forschung und Lehre (s. später), wobei es sicher gerade dort konkrete Unterschiede gibt, je nach Fach. Wissenschaft hat zwar stets kulturell-historische Bezüge. Doch gibt es Disziplinen, in denen die Sprache die Art der Fragestellung beeinflusst. Das ist beispielsweise die Medizin im Allgemeinen und die Rechtsmedizin und Psychiatrie im Speziellen, Fächer, die in besonderer Weise historisch geprägt und kulturkreis- und sprachgebunden sind, so R. Mocikat. Doch gilt dies auch für naturwissenschaftliche Grundlagen-Fächer? Das wird oft in Abrede gestellt, räumt der Immunologe ein. Gerade Naturwissenschaftler verstehen die Sprache oft nur als einen jederzeit austauschbaren Satz von Zeichen. Doch auch hier hat ihre Identitäts-stiftende Funktion Gültigkeit, denn jede Sprache ist ein System, das eine spezifische Herangehensweise in der Erkenntnis der Welt widerspiegelt. Das wissen am besten jene, die Texte in andere Sprachen übersetzen müssen. Eine gute Übersetzung, selbst in den Naturwissenschaften, kommt fast einer Neu-Formulierung gleich, wobei mitunter ganze Argumentations-Ketten verändert sind, ein Problem das besonderer Beachtung bedarf und obige Behauptungen beweist. Vorträge, Seminare, Kurse, Tagungen - nur noch auf Englisch? Doch die deutschsprachigen Wissenschaftler (und alle anderen nicht muttersprachlich englisch-sprechenden Forscher in aller Welt dazu) müssen sich mit ihren naturgemäß begrenzten Englisch-Kenntnissen auf internationalen Konferenzen, Tagungen und Workshops auf Englisch "durchschlagen" und bleiben allein schon deshalb ihren englischen, amerikanischen, kanadischen und australischen Kollegen letztlich unterlegen (siehe später). Wer das nicht glaubt, versuche es einfach einmal selber, und sei es nur in rein oberflächlicher Konversation in einem Kreis von Engländern oder Amerikanern. Dabei achte er auch auf den Zeit-Faktor. Denn am Anfang mag es noch ganz gut gehen, im Laufe der Diskussion aber wird man die Anstrengung und damit Ermüdung bald zu spüren bekommen, die die anderen, jedenfalls von dieser Seite her, nicht zu "bezahlen" haben. Doch die deutschen Wissenschaftler fechten das offenbar nicht an. Die Abwertung der deutschen Sprache scheint einen neuen Höhepunkt erreicht zu haben. Die meisten deutschen Fachverlage haben sich bereits auf die Publikationssprache Englisch umgestellt. Das aber scheint nur der Anfang zu sein; die völlige Preisgabe der Landessprache auch im internen Wissenschaftsbetrieb steht an, warnt Professor R. Mocikat. In der Biomedizin ist diese Entwicklung besonders weit fortgeschritten. So finden hier Tagungen mit ausschließlich deutschsprachigen Teilnehmern, interne Seminare und alltägliche Besprechungen oft nur noch auf Englisch statt. Auch in der universitären Lehre werden immer mehr Veranstaltungen für deutsche Studenten in englischer Sprache angeboten. Dies hat nicht nur negative Folgen für das Ansehen der Deutschen (siehe später), sondern beschädigt auch die Wissenschaften. Durch die Anglisierung gehen immer mehr fachspezifische Termini (Fachbegriffe) im Deutschen verloren. Neue Fachbegriffe werden nicht mehr gebildet und etablierte Begriffe geraten in Vergessenheit, warnt der Wissenschaftler. Und weiter: Die Übernahme englischer Fachbegriffe wird oft damit begründet, dass die wesentlichen Entdeckungen aus den USA kämen und dass es keine deutschen Entsprechungen gäbe. Doch das ist nur ein Vorwand. Denn einerseits ließen sich solche leicht finden, und andererseits werden in der Regel auch jene Sachverhalte unversehens mit englischen Termini belegt, die in Deutschland ge- oder erfunden worden sind. Es findet offenbar eine "Mystifizierung der englischen Sprache" statt, der eine regelrechte "Anglomanie" folge. Weitere Ursachen und Folgen Nun finden wir uns auch und gerade in der Wissenschaft in einer schwierigen Zeit, in der Publikationen und damit Publizität (Publicity = Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit) zählen. Wer kennt ihn nicht, den altbekannten Spruch: publish or perish = publiziere, veröffentliche Deine wissenschaftlichen Erkenntnisse (auf Teufel komm raus) - oder Du wirst untergehen... Nicht neu, aber immer heftiger, ja "gnadenloser" äußern sich auch die Aufgaben/Verpflichtungen/"befehlsartigen Empfehlungen" zur so genannten Drittmittel-Einwerbung (siehe später) und inzwischen auch bei uns die "Ranking-Hysterie" (Rangfolge, die über staatliche Zuschüsse und Sponsorengelder entscheidet). Kurz: Man muss nicht nur etwas tun, man ist dazu gezwungen, es gibt keine andere Wahl. Und das vor allem international, so der Kommentar aus Wissenschaftskreisen. Dabei gibt es keine Unklarheiten: Soll neues Wissen einer internationalen Gemeinschaft (z. B. der Wissenschaftlicher, konkret der Mediziner, Ingenieure, Architekten u. a.) mitgeteilt werden, ist die englische Sprache selbstverständlich ein geeignetes Medium, ja, derzeit das Medium schlechthin. Ob jedoch mit der völligen Aufgabe der deutschen Sprache das angestrebte Ziel erreicht wird, nämlich erhöhte internationale Sichtbarkeit zu erlangen, ist fraglich, warnt Professor Mocikat. Es hat sich nämlich gezeigt, dass wissenschaftliche Arbeiten, die aus Europa stammen, in den USA auch nach dem Wechsel der Publikationssprache ins Englische wenig zur Kenntnis genommen und vor allem zitiert werden. Das hat nebenbei viele Gründe, die auch nicht immer ganz objektiv oder gar "fair" sind, das weiß jeder in der Wissenschaft, in Technik, Wirtschaft, Kultur u. a. Tätige. Und es hat etwas mit dem (sicher überhöhten) Selbstverständnis der US-Amerikaner bzw. der angelsächsischen Welt schlechthin zu tun, und der Rest dieser Erde nimmt das auch hin, jedenfalls bisher. Dabei könnten bestimmte Korrektur-Maßnahmen hier durchaus hilfreich sein, beispielsweise die Schaffung einer europäischen Zitations-Datenbank. Es gibt aber auch - nach R. Mocikat - grundlegende Probleme, Hindernisse, Nachteile. Selbst wenn man unterstellt, dass deutsche Autoren das erforderliche englische Fach-Vokabular beherrschen, handelt es sich doch um einen sehr eingeschränkten, ja fast (fach-)stereotypen Wortschatz. Auch der Stil der Aufsätze gewährleiste nicht immer gute Lesbarkeit, wobei man den Satz nicht vergessen sollte: Die Form ist ein Teil des Inhalts. Oder wie es "drüben" trocken registriert wird: Das "Pidgin-Englisch" der Europäer (von anderen Nationen ganz zu schweigen) ist es schon vom Stil her nicht wert, gelesen zu werden. Noch schwieriger wird es offenbar in der Wissens-Weitergabe durch Vorträge. Auch hier bleibt die Darstellung komplexer Sachverhalte in englischer Sprache für die meisten deutschen Wissenschaftler "ungelenk und unpräzise" - und damit die Aufnahme-Bereitschaft der Zuhörerschaft begrenzt. Es mag ja Begabungen geben, die hier eine erfreuliche Ausnahme bilden, aber ansonsten ist die messbare Wirklichkeit eher betrüblich, so die Kritiker. Professor Mocikat führt eine Untersuchung an, in der nur 11% der Studenten angaben, englische Fachtexte "sehr gut" zu verstehen. Für jeden erkenntlich ist auch der Diskussions-Stil bei entsprechenden Veranstaltungen in englischer Sprache. Dabei reduziert sich deutlich die Zahl der Wortmeldungen von denen, die sich hier nicht trauen, auch wenn sie einen besseren Informationsstand haben, als diejenigen, die sprachgewandter sind. Hier hört man aber bisweilen einen (lautstarken) Protest, der jedoch von den Experten gleich trocken in seine Schranken verwiesen wird: "Deutsche Wissenschaftler erliegen oft einer maßlosen Selbstüberschätzung hinsichtlich ihrer Fremdsprachen-Kompetenz. Weder in der Diskussion mit Kollegen, noch in Lehrveranstaltungen kann ein Wissenschaftler in einer Fremdsprache, auch wenn er sie noch so gut beherrscht, hinsichtlich der Treffsicherheit, der stilistischen Nuancen, der Assoziationen und der Bildhaftigkeit jemals das Niveau von Muttersprachlern erreichen. Besonders deutlich wird dies immer dann, wenn in einer Diskussion tatsächlich einmal englische Kollegen anwesend sind. Erfahrungsgemäß können diese ihren "Muttersprachen-Vorteil" bestens ausspielen und jede Diskussion argumentativ dominieren. "Die Sprache kann trefflich als Machtinstrument eingesetzt werden", so Professor R. Mocikat (was nicht wenige selbstkritische Wissenschaftler mit entsprechender Erfahrung bestätigen können, wenngleich ungern oder nur stumm nickend). Deshalb - so Professor Krämer in seinem Beitrag - und nicht weil die deutsche Sprache so erhaltens- und bewundernswürdig wäre (das mag ein jeder für sich selber entscheiden), ist eine flexible, geschmeidige, anpassungsfähige und innovative (für Verbesserungen und Erneuerungen entscheidende) Muttersprache unerlässlich - im Grunde für alle, vor allem aber für kreative Forschung. Der historische Rückblick öffnet die Augen Ein gutes Beispiel dafür ist ein historischer Rückblick. Nicht umsonst fiel die "Explosion", d. h. die alle erstaunende plötzliche Fülle der wissenschaftlichen Erkenntnisse nach der Renaissance (die Zeit von etwa 1350 bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts) mit einem sprachlichen Phänomen zusammen, nämlich dem Niedergang des Lateinischen als für alle Nationen verpflichtender intellektueller bzw. "Denksprache". Bis dahin sprach man nicht nur, sondern dachte auch so gut es geht lateinisch. Das heißt: Man war in derselben Situation wie heute mit Englisch als wissenschaftlicher Weltsprache. Selbst die bedeutendsten Geister ihrer Zeit wie Galilei, Keppler, Leibnitz oder Newton dachten nicht ursprünglich Lateinisch, sondern nach bzw. in ihrer Muttersprache, d. h. Italienisch, Deutsch und Englisch. Und sie taten gut daran, auch wenn sie anschließend die Früchte ihrer geistigen Arbeit auf Latein veröffentlichten. Es ist bzw. war halt zu jeder Zeit ein Unterschied zwischen der Denkleistung an sich, und zwar in der eigenen (auch denkenden) Muttersprache und der schriftlichen Veröffentlichung, damit es auch alle Nicht-Italiener, Nicht-Deutschen und Nicht-Engländer verstehen konnten. Die englischsprachige Wissenschaftswelt sieht dieses Problem übrigens realistisch. Zum einen ist man natürlich nicht unfroh darüber, dass der sprachliche Vorteil bei einem selber liegt. Es entfällt die Mühsal, Deutsch, Französisch oder Spanisch zu lernen und das erwähnte unüberwindliche Problem, in dieser Sprache auch zu denken, zu forschen und kreative Erkenntnisse zu entwickeln. Man ist den anderen Nationen sowohl zeitlich als wohl auch kräftemäßig voraus (denn was es heißt, eine fremde Sprache so perfekt zu lernen und zu "leben" wie irgend möglich, kann wohl nur der beurteilen, der eine solche Leistung auch erbringen musste und weiterhin erbringen muss). Zum anderen aber ist allen wohlmeinenden und um Objektivität bemühten nicht-angelsächsischen Forschern auch klar, dass dadurch wissenschaftliche Potentiale ausgebremst, wenn nicht gar am Entstehen gehindert werden. Und wenn es dann wirklich um den Fortschritt an sich geht, gleich in welcher wissenschaftlichen Disziplin, also ob Technik, Medizin, Naturwissenschaften u. a., dann ist das schon eine ggf. herbe Einbuße für alle, die man vermeiden sollte. Aber wie? Die Antwort ist relativ einfach, und sie kommt auch von den englischsprachigen Wissenschaftskollegen: So meint einer der wohl bekanntesten Computer-Experten, nämlich J. Weizenbaum, einen der Gründe ausmachen zu können, weshalb die deutsche EDV-Forschung gegenüber der amerikanischen Computerwissenschaft im Rückstand sei: "Jeder Mensch denkt in seiner eigenen Sprache mit den ihr eigenen Nuancen. Die Sucht vieler Deutscher nach englischen Sprachbrocken erzeugt dagegen Spracharmut, Sprachgulasch. Ideen können so nicht entstehen". "Ideen können so nicht entstehen" Der Kernsatz lautet also: Ideen können so nicht entstehen. Und das dreht auch das Haupt-Argument der Befürworter um, die meinen: Erst müsse die deutsche Wissenschaft besser werden, dann ginge es auch der deutschen Sprache besser. In Wirklichkeit verhält es sich genau umgekehrt, gibt Professor Krämer zu bedenken: Erst muss die deutsche Sprache besser werden, erst müssen wir wieder üben, überhaupt kreativ und innovativ zu denken, zu sprechen, d. h. auszuformulieren, zur Diskussion zu stellen, dafür und dagegen zu argumentieren, um schließlich gemeinsam zu einer konzisen Schlussfolgerung zu kommen - in Deutsch. Dann steigt auch die Qualität der deutschen Wissenschaft. Denn - noch einmal - kreatives Denken gelingt halt den (meisten) Menschen nur in ihrer Muttersprache. Und wenn diese Muttersprache ganze Lebens- und Wissensbereiche aus dem Weltbild ausblendet, ist in dieser Muttersprache eben kein Erfassen dieser Welt mehr möglich. In diesem Zusammenhang ist allerdings immer wieder ein Einwand zu hören, der zwar selbst von seinen Befürwortern als nicht unproblematisch eingestuft wird, aber so ist es eben bzw. war es schon immer und wird es auch bleiben. Und dieses Argument lautet: Letztlich ist es doch gleichgültig, ob man in seiner Muttersprache oder in Englisch seine Fachkenntnisse ausdrücke; denn diese Fachsprache sei den meisten Nicht-Fachleuten ohnehin unverständlich, ob in Deutsch oder Englisch. Da sei es doch besser, man nutze gleich jene internationale Fachsprache, auf die es dann letztlich ankomme. Diese Schlussfolgerung wirkt auf den ersten Blick nicht gerade erbauend, aber konsequent. Und trotzdem geht sie am eigentlichen Problem vorbei. Warum? - Zum einen sollte sich die Wissenschaft auch sprachlich nicht auf ihren Elfenbeinturm beschränken, was sie natürlich gerne tut. Denn es ist bekanntlich einfacher, sich in seiner Fachsprache auszudrücken, als sein Wissen allgemein verständlich "rüberzubringen". - Zum anderen haben vor allem die Deutschen (und damit auch die deutschsprachigen Wissenschaftler) lange Zeit die Möglichkeit gehabt, sich fast ausschließlich auf staatliche, d. h. Steuer-Gelder zu stützen. Anders in den angelsächsischen Nationen, insbesondere in den USA. Dort ist das Sponsoring (das heißt die finanzielle Förderung von Personen oder Projekten durch Unternehmen oder einzelne Spender) eine entscheidende finanzielle Säule der jeweiligen Institutionen. Solche Geldgeber aber würden auch gerne einmal erfahren, für was ihre Mittel eingesetzt werden - und zwar auf "allgemein verständlich". Und da tun und taten die zuständigen Institute, Kliniken oder sonstigen Empfänger gut daran, ihren Dank und ihre Rechtfertigung durch erbrachte Leistung auch verständlich auszudrücken. Das hat im Übrigen auch sonstige Vorteile (Öffentlichkeitsarbeit, Prävention, speziell aber einen positiven Finanz-Sog für weitere Forschungsmittel). Denn letztlich würden auch die deutschen Sponsoren, nämlich die Steuerzahler, gerne wissen, was ihre Ausgaben für die Forschung für Ergebnisse gebracht haben, und zwar auf "Deutsch", d. h. allgemeinverständlich. Das haben aber in der Regel die Wissenschaftler bisher nicht für nötig gehalten, wurden wohl auch dazu nicht von den staatlichen Stellen gezwungen - jedenfalls bis oft vor noch nicht langer Zeit. Erst jetzt beginnt auch hier ein Umdenken in Forscher-Kreisen. Zum einen merkt man, dass die Angelsachsen damit gute Erfahrung gemacht haben und zum anderen fließen jetzt die staatlichen Quellen spärlicher, man ist auch hier gezwungen, vermehrt die erwähnten "Drittmittel einzuwerben", muss also den potentiellen Sponsoren plausibel machen, warum sie ihr gutes Geld für etwas meist sehr Spezielles hergeben sollen - und das alles, wie gesagt "auf Deutsch". Mit anderen Worten: Das Argument, auch muttersprachliche Fachsprachen sind für Nicht-Fachleute letztlich unverständlich, weshalb man dann auch gleich in einer fremden Sprache Wissenschaft betreiben könne, nämlich überwiegend in Englisch, geht am eigentlichen Problem vorbei. Vor allem aber wird es durch die ökonomische Realität überholt. Wer so denkt, muss schon auf ewig staatlich abgesichert sein, um nicht bald in finanzielle Nöte zu geraten.
Kurz: Das fundierte Verständnis, von der Ursprungs-Idee bis zur Veröffentlichung, ist und bleibt vor allem in der Muttersprache möglich. Danach kann und soll man es in Englisch oder in einer anderen Sprache veröffentlichen. Doch das ist dann eine reine Übersetzungsleistung und hindert nicht am eigentlichen ursprünglichen Denkvorgang. Wie das im Übrigen bestimmte Nationen schon immer und unverändert hartnäckig und damit erfolgreich durchziehen, zeigt die französische Wissenschaft. Die Franzosen, einstmals westliche Weltsprache einer ganzen Epoche (z. B. sprach König Friedrich der Große von Preußen in seinen intellektuellen Kreisen am liebsten Französisch, und wahrhaftig nicht nur er), also die Franzosen verteidigen auch heute noch hartnäckig - politisch, publizistisch, ja sogar wissenschaftlich - ihre Muttersprache. Natürlich veröffentlichen auch sie "weltweit" in Englisch. Und sie diskutieren auch englisch (wenngleich mit unverkennbarem französischen Akzent, den sie bewusst nicht ablegen, ganz im Gegensatz zu den beflissenen Deutschen). Aber ihre Denkleistung lassen sie sich nicht dadurch schmälern, dass sie von vornherein Englisch zu denken versuchen, was weder gut funktioniert noch ergiebig ist - und vor allem schon von der geistigen Konzeption her eigentlich falsch angelegt und letztlich ein Unding zu sein pflegt. Zum Schluss: einige gesamt-gesellschaftliche Aspekte Wissenschaft ist ein Teil der Gesellschaft. Durch den ausschließlichen Gebrauch eines Idioms, also einer Sprach-Eigentümlichkeit bzw. -Charakteristik, das von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung nicht verstanden wird, koppelt sich die Wissenschaft immer weiter von dieser Gesellschaft ab, die sie doch mit ihrem Steuergeldern finanziert, warnt Professor Mocikat. Und weiter: Die Wissenschaft hat die Pflicht, nicht nur über Ergebnisse zu berichten, sondern auch über die kulturellen und ethischen Folgen ihres Tuns zu reflektieren. Das betrifft übrigens nicht nur, beispielsweise in der Biomedizin, die Welt der Laien. Die einseitige Anglisierung wird auch mehrheitlich von den niedergelassenen und klinisch tätigen Ärzten im Alltagsgebrauch abgelehnt, also beispielsweise den zukünftigen Anwendern von Forschungsergebnissen. Dadurch leben sich wissenschaftlicher Fortschritt und praktische Anwendung immer mehr auseinander. Eine riskante Entwicklung, die dann wieder zu Lasten der Allgemeinheit geht (die ihrerseits ja diese Forschung unterhalten soll). Und schließlich: Wie die Wissenschaftssprache sich stets aus der Alltagssprache speisen muss, so hat die Wissenschaftssprache Rückwirkungen auf die Allgemeinsprache. Die Anglisierung der Wissenschaften wird daher zum Niedergang der deutschen Alltagssprache beitragen (was auf anderen Gebieten ohnehin schon bedrohlich zunimmt). Gerade dann - so R. Mocikat - wenn eine Sprache nicht mehr sämtliche Bereiche des Daseins und insbesondere nicht mehr die innovativen (Neues hervorbringenden) und zukunftsorientierten Gebiete abzubilden vermag, handelt es sich um eine im Kern bedrohte Sprache - und letztlich auch Kultur... Die englische Weltsprache, die derzeitige lingua franca, stellt niemand infrage. Doch muss eine deutsche Wissenschaftssprache schon deshalb bewahrt werden, um die Vielfalt des Denkens und damit das Ansehen der deutschen Kultur und Wissenschaft zu sichern. Das war vor zwei Jahrzehnten noch durchaus möglich, scheint aber inzwischen ernsthaft in Gefahr zu geraten, und zwar durch uns selber. Diese Gefahr sehen übrigens manche ausländische Wissenschaftler offenbar deutlicher als wir selber (s. o.). Dabei wird die Anglomanie in unseren Universitäten und Forschungszentren oft mit Rücksichtsnahme auf ausländische Gäste gerechtfertigt. Aber warum heute, denn früher war es nicht selten, dass Austausch-Wissenschaftler vor Antritt ihrer Tätigkeit Deutsch lernten, und damit nicht nur Deutsch, sondern auch deutsche Kultur. Heute werden sie offenbar eher davon abgehalten als dazu ermuntert, selbst wenn sie schon über Grundlagen-Kenntnisse des Deutschen verfügen. Man nötigt sie förmlich in Deutschland selber Englisch zu sprechen, wohl aus einer Mischung von falsch verstandener Gastfreundschaft und unkritischer Selbstbespiegelung, weil man sich dadurch als polyglotten Weltbürger ausweisen will. Doch die Anglomanie wirkt auf viele Gäste eher irritierend, befremdlich, fast schon "abstoßend unterwürfig". Durch die Verleugnung unserer Sprache gewinnen sie den Eindruck, dass die Deutschen nicht nur ihre Sprache, sondern ihre eigene Kultur als zweitklassig einstufen, so Professor Dr. R. Mocikat. Und dass sie mit der Preisgabe der eigenen Wissenschaftssprache sich auch aus der inhaltlichen Mitgestaltung der Wissenschaften verabschiedet haben. Das macht aber den Wissenschafts-Standort Deutschland für Ausländer eher unattraktiv, obwohl man ihn doch mit so viel Geld zu subventionieren versucht. "Die Kopie des angloamerikanischen Systems, die wir unseren Gästen anzudienen gedenken, schärft nicht das eigene Profil. Wenn es nicht gelingt, die eigenen Traditionen zu pflegen und weiterzuentwickeln, wird Deutschland von der Welt immer weniger wahrgenommen", warnt R. Mocikat. Schlussfolgerung Und so schließt auch Professor Dr. Walter Krämer seinen Aufsatz in der Hochschul-Zeitschrift Forschung & Lehre mit der Mahnung: Das Vordringen von Englisch im internen(!) deutschen Wissenschaftsbetrieb (d. h. nicht auf internationaler Bühne, wo die englische Weltsprache unangetastet bleibt) ist keine Hilfe, sondern eine Bremse für den wissenschaftlichen Fortschritt. Wir zementieren damit die Zweitklassigkeit der deutschen Forschung auf allen Gebieten und machen uns auf ewig zu Anhängseln und Sklaven eines anglo-amerikanisch dominierten internationalen Kommunikations- und Wertesystems. Oder noch härter: Wir machen uns zu Bürgern zweiter Klasse in unserem eigenen Wissenschaftsbetrieb. Und Professor Dr. Ralph Mocikat in der gleichen Fachzeitschrift: Die gegenwärtige Abwertung der deutschen sowie anderer Sprachen im Sinne ihres Rückzugs aus ganzen Wissenschaftsbereichen wird nicht nur die Einzelsprachen, sondern auch die Wissenschaften inhaltlich beschädigen. Der Gebrauch eines gemeinsamen Verständigungsmediums in der weltweiten Kommunikation kann nicht damit einhergehen, dass Prozesse der Erkenntnisfindung zu Hause mit Hilfe einer Pidgin-Variante des Englischen ablaufen. Denn auch in den USA kann Wissenschaft nicht in dem vereinfachten Idiom einer schmalen Funktionssprache betrieben werden. Dabei wäre die Lösung so einfach, so nahe liegend, so zwingend, nämlich:
LITERATUR: Grundlage vorliegenden Beitrags sind die Artikel: Krämer, W.: Anachronistisch oder lebensnotwendig? Ein Plädoyer für Deutsch als Wissenschaftssprache. Forschung & Lehre 10 (2002) 538-539 Mocikat, R.: Ein Plädoyer für die Vielfalt. Die Wissenschaftssprache am Beispiel der Biomedizin. Forschung & Lehre 2 (2007) 90 |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |